Mülheim.
Ein wenig sprachlos sitzt Simon, der sonst um keinen guten Spruch verlegen scheint, am späten Sonntagnachmittag im Rund der Arena auf Schalke, bei der Partie gegen den Hamburger SV. „Das ist mein erstes Bundesligaspiel“, sagt der Industriemechaniker, der im Mülheimer Hafen bei Siemens in der Gehäusefertigung für Turbinen arbeitet. Den Tag bei den Blau-Weißen hat er seinem Engagement und einer guten Portion seinem Chef und Meister, Stefan Bentele, zu verdanken. Der schlug ihn vor für die Aktion „Weil du es verdienst hast“, die der Schalke-Sponsor Gazprom ausgelobt hatte. Unter 400 bundesweiten Einsendungen wählten sie den 25-Jährigen aus, der in Sambia für ein Aidswaisen-Projekt arbeitet.
„Im Dezember fliege ich wieder hin“, erzählt Simon Willeke – seine Augen leuchten. Vorfreude. Der junge Mann, recht groß, braune Locken, stets ein verschmitztes Lachen im Gesicht, wirkt wie viele seine Altersgenossen: lebenshungrig, spaßsuchend. Doch: „Ich bin im christlichen Elternhaus aufgewachsen, hab mich mit 18 Jahren taufen lassen“, erzählt er. Seither gehe er in eine evangelisch-freikirchliche Gemeinde. Den Weg nach Sambia beschreibt er wie eine göttliche Fügung. „Meine Mutter hatte die Theorie, dass ich mal nach Afrika gehe, um den Menschen dort zu helfen.“
Eigentlicher Kandidat sagte ab
Nachdem er bei Siemens 2009 seine Ausbildung abgeschlossen hatte, musste er noch zum Zivildienst. Eine Stelle im amerikanischen Florida hatte er sich bereits gesucht. Dann erzählte ihm ein Freund von dem christlichen Missionierungsprojekt in Sambia. „Dort habe ich mich beworben, eine freie Stelle hatten die eigentlich nicht mehr. Eine halbe Stunde, bevor ich meine Bewerbung per E-mail schickte, hatte der eigentliche Kandidat abgesagt“, berichtet der 25-Jährige.
Neun Monate ging er nach Kabwe, zwei Stunden entfernt von der sambischen Hauptstadt Lusaka. „Mein Englisch war nicht das beste“, erinnert sich Simon, „aber vom ersten Tag an habe ich mich wie Zuhause gefühlt.“ Eine Umstellung war es dennoch: Kein Strom, stattdessen Holzhacken. Eine einfache Unterkunft, kein gut ausgerüstetes Jugendzimmer. Das Nationalgericht: Maismehl mit Wasser gekocht, dazu mal Fisch oder Kohl. Und dazu die Situation der Kinder: „75 Prozent aller 14-Jährigen in Sambia kennen ihren Vater nicht.“
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Bei seinem ersten Einsatz half Simon noch bei der Mittagsverpflegung mit. 2011 ging er erneut nach Sambia, auch dank seines Arbeitgebers, der ihm ein Sabbatjahr gewährte. Zuletzt war er für kurze Zeit Anfang des Jahres vor Ort. Auf einem Bolzplatz startete er ein Fußballprojekt. „Anfangs kamen vielleicht zehn Kinder, doch bereits eine Woche später stand ich da mit 200 Kindern – und hatte nur einen Ball dabei.
In der Arena
„Ich find’s gut, dass die hier auf Schalke eine Kapelle im Stadion haben“, meint Simon, als er am Sonntag im Glückauf-Club der Gazprom-Tribüne sitzt. Alles sei so massig, so riesig.
Der Gang durch die Logen der Veltins-Arena und ins Schalke-Museum hinterlässt einen Eindruck von Luxus und Wohlstand. Das Image des blauen-weißen Clubs der kleinen Leute stimmt nicht mehr so recht. Für Simon ist es ein starker Gegensatz zu seinem Wirken in Sambia und den dortigen Verhältnissen. Das fängt schon an als Johannes Jon vom Knappenklub Simon mit seinem Cousin Pascal, seinem Chef Stefan Bentele und dessen Frau durch die Katakomben zum grünen Rasen führt. An der Eckfahne vor der legendären Nordkurve posieren sie alle für Fotos. „Als ich das erste Mal das Fußballprojekt geleitet habe, war es mitten in der Regenzeit, der Bolzplatz stand richtig unter Wasser. So einen Wolkenbruch gab es“, erzählt der 25-Jährige. „Aber die Kinder wollten unbedingt spielen, also haben wir es gemacht.“ In Sambia sei man genauso fußballverrückt wie in Deutschland, 2012 wurde das Land gar Afrika-Meister.
Die Partie der Blau-Weißen am Sonntag gegen den HSV entbehrt keiner Spannung. 3:3 geht sie am Ende aus. Doch Simon ist trotzdem zufrieden an diesem Tag: „Hauptsache viele Tore.“ Ob er denn jetzt Schalke-Fan werden würde, will sein Chef wissen, der selbst in blau-weißer Montur aufgelaufen ist. Simon muss grinsen, denn sein Herz hängt eigentlich am MSV aus Duisburg – trotz des Abstiegs in die dritte Liga. „Nur bis ich da mal eine Erstliga-Partie wieder sehe…“, meint er. Das weiß wohl nur der Fußball-Gott.