Mülheim..

Morgens um sieben ist die Welt in Selbeck noch in Ordnung. „Stau?“, fragt die Mitarbeiterin der Tankstelle an der Kölner Straße nahe Kreuz Breitscheid etwas ungläubig zurück, „bisher nicht, aber der Berufsverkehr beginnt erst gegen acht.“ Der von manchen befürchtete Verkehrskollaps im südwestlichen Stadtteil Mülheims am ersten Morgen der Sperrung der Ruhrtalbrücke blieb zunächst aus. Debüt gelungen?

Am Montagmorgen wurde die Kölner Straße augenscheinlich als Schleichweg noch nicht entdeckt, um schnell an den Autobahnen A3 und A40 vorbei von Düsseldorf nach Essen oder eben von dort weiter über die A 40 zu fahren.

Am Vormittag bereits "deutlich mehr Betrieb" in der Stadt

Während Pendler zwischen acht und neun Uhr auf der Autobahn von Mülheim-Dümpten bis Fronhausen mit 14 Kilometer Stau haderten, kringelte durch den Stadtteil Selbeck zeitgleich nur träge eine vergleichsweise kleine Blechschlange aus Pendlern vom Kreuz Breitscheid in Richtung Mülheim-Saarn. Zum Glück für die ohnehin verkehrsbelastete Kölner Straße, auf der tagtäglich bis zu 15.000 Fahrzeuge rauf und runter fahren.

Doch das war nur der Anfang: Obwohl Straßen.NRW den Verkehr Richtung Essen weiträumig über die A3 und A40 umleitete, erfasste die Polizei Essen-Mülheim bereits bis zum Mittag „deutlich mehr Betrieb“ auf den innerstädtischen Hauptverkehrsstraßen.

So wurden der „Esel“ in Richtung Mintard, und die Meisenburgstraße zwischen Essen und Essen-Kettwig spürbar häufiger genutzt, um die Sperrung zu „überbrücken“, wie Polizeisprecher Lars Lindemann mitteilt.

Noch keine Entwarnung

Ist der Auftakt gelungen, bleibt das befürchtete Chaos auf den innerstädtischen Straßen also aus? Die Polizei will noch nicht entwarnen und rechnet in den nächsten Tagen mit weiteren Veränderungen, die an Hauptstraßen zwischen Städten für Stau sorgen können: Autofahrer sind erfindungsreich, weiß Polizeisprecher Lindemann aus Erfahrung mit der letzten großen Sperrung auf der A40: „Es wird noch Tage dauern, bis Pendler ihre eigene optimale Umgehungsstrecke gefunden haben.“

Die Prognose der Polizei schien sich bereits am Nachmittag zu bestätigen. Nach 16 Uhr nahmen deutlich mehr Fahrzeuge die vermeintliche „Abkürzung“ über Selbeck. Unter ihnen viele Mülheimer Pendler, aber auch einige aus Essen und Oberhausen, Herne und Bottrop, die wohl versuchten, den kilometerlangen Stau auf der A3 und A40 zu umfahren.

Am Nachmittag verschärft sich die Lage in Selbeck

Es ist 16.30 Uhr als auf der Kölner Straße in Richtung Mülheim kaum nur noch Schleichtempo möglich ist. „Es sind jetzt schon mehr Autos als sonst“, sagt ein Anwohner. Sie tragen die Kennzeichen E, BOT, HER, ME oder WES. Was erst, wenn der richtige Berufsverkehr einsetzt, fragt er und überlegt schon seine Route für morgen.

Deutlich länger werden Saarner und Selbecker auch in den nächsten Tagen unterwegs sein, wenn sie nach Hause wollen, weil mehr und mehr Pendler als sonst die „Abkürzung“ durch ihren, den südlichen Mülheimer Stadtteil nehmen werden, statt über die A3.

„Das liegt an den Navis“, glaubt der Anwohner, dank „Traffic Message Channel“ (TMC) kalkulieren sie anhand von Staumel­dungen eine neue Strecke. Und leiten dann, vermutet er, über die Kölner Straße um. Die Vorgaben von Straßen.NRW werden so auch von Ortsunkundigen umgangen. Man müsste TMC so steuern, dass diese Straße von der Umleitung ausgenommen werde, sagt der Anwohner.

"Größtenteils ein ständiger Fluss"

Indes knobelt eine Selbeckerin gedanklich an ihrer neuen Route, um ab sofort schneller nach Essen zu kommen. Was schlägt die Ortskundige vor? „Das verrate ich Ihnen doch nicht, sonst fahren ab morgen alle dort lang“, entgegnet sie entrüstet. Solches Wissen wird nur unter der Hand weiter gegeben.

Noch am Montagmorgen war Rolf Gentges, Vorsitzender des Selbecker Bürgervereins, vorsichtig optimistisch: „Ich bin doch überrascht, wie wenig der Verkehr zugenommen hat.“ Einige Lkw mehr hat Gentges verzeichnen können, doch die Selbecker Bürger rechneten mit deutlich mehr Stop-and-Go-Situationen, räumt er ein, „es war aber größtenteils ein ständiger Fluss“.

Lieber einen Bus früher

Doch die Hoffnung für den verkehrsbelasteten Stadtteil könnte sich schnell zerstreuen. Denn wie sich die Autofahrer in den kommenden drei Monaten, während die Ruhrtalbrücke gesperrt ist, verhalten werden, ist schwer zu sagen. Viele Selbecker rechnen aber mit noch längeren Fahrtzeiten als ohnehin schon üblich sind.

Schüler Erik plant indes, ab morgen eine halbe Stunde eher aufzustehen, um den früheren Bus zur Realschule Broich zu nehmen. Zum Glück sind bald Ferien. Doch auch der Bus kommt um die Kölner Straße nicht herum. „Sein Auto zu Hause zu lassen, ist für uns deshalb keine Alternative“, sagt die Mutter.

Wer könnte vom Stau profitieren? Vielleicht ein Café an der Straße. Bei „Apfelrot und Suppengrün“ hofft man jedenfalls, dass der zähe Verkehrsfluss auf der Kölner auch mehr Gäste in das Geschäft spülen könnte.