Speldorf. .
Sehr unterschiedliche gesellschaftliche Erfahrungen und ästhetische Konzepte dokumentiert die Reihe „Theaterlandschaft neues Arabien“ im Theater an der Ruhr. Für die Tunesierin Meriam Bousselmi ist Theater ein Ort, „an dem man eine Stimme hört“.
Die 29-jährige Autorin und Regisseurin rückt den Text in den Mittelpunkt und vertritt ein Theater, das mit sparsamen Mitteln arbeitet: reduzierte, aber genaue Gestik und Mimik und wenig Requisiten. Das Stück „Mémoire en retraite“ (Samstag, 28. Oktober, 18 Uhr) hat sie vor der tunesischen Revolution 2011 geschrieben, aber erst während der Revolution inszeniert.
Niedergang eines Diktators
Es nutzt die Krankheit Alzheimer als Metapher für den Niedergang eines Diktators. In dem als beste arabische Produktion ausgezeichneten Stück erzählt Bousselmi von einem Konflikt zwischen dem erfolgreichen, an Macht und Geld orientiertem Vater, und seinem als Schriftsteller gesellschaftlich marginalisiertem Sohn.
Dagegen braucht der Schauspieler und Regisseur Issam Bou Khaled nicht unbedingt einen Text. „Ich lasse mich gerne von Comics oder Kino inspirieren“, kommentiert der 41-Jährige. Auch seine Erfahrung mit einer Theatergruppe von Gehörlosen trug dazu, oft auf Text aber nicht auf die menschliche Stimme zu verzichten. Sein bitterstes Werk ist „Banafsaj“ (Samstag, 27. Oktober, 19.30 Uhr), in dem eine Tote, die zerstückelt in einem Massengrab liegt, ihre Gliedmaßen wieder zusammensucht. Sie will als ganzer Körper begraben werden und dadurch einen Rest von Würde retten.
Der Alltag kann nicht warten
Dem Krieg bringt Issam Bou Khaled oft mit schwarzem Humor und einem überraschenden Blick für alltägliches Leben auf die Bühne. „Wir leben in einem chronischen Kriegszustand.“ Da könne man nicht bis nach dem Krieg mit Lachen, Lieben und Leben warten. Nach der Ermordung des libanesischen Polizei-Geheimdienstchef fürchtet er einen neuen, schlimmeren Krieg in seiner Heimat: „Ein Teil der libanesischen Bevölkerung ist mit Assad verbunden, ein anderer Teil mit der syrischen Opposition.“ Die Hoffnung auf eine Beruhigung der Situation hat er zwar nicht aufgegeben. „Aber ich denke zum ersten Mal in meinem Leben darüber nach, den Libanon zu verlassen.“
Mit vorsichtigem Optimismus blickt dagegen die Juristin Bousselmi in die Zukunft. Der Sohn in ihrem Stück musste lernen, dass eine Revolution keine kurze, befristete Aktion ist, sondern Zeit braucht. Ihr aktuelles Stück „Sabra“ ( 8. November) setzt sich mit den widersprüchlichen Traditionen ihres Landes – auch mit gewaltbereiten Islamisten – auseinander. Erstmals ungefiltert von einer staatlichen Zensur.