Mülheim. .

18 Grad, Sonnenschein, sechs ­Knoten Windgeschwindigkeit – der Herbst ist die beste Jahreszeit, um Drachen steigen zu lassen. Wenn es denn noch Leute gäbe, die dieses Hobby auslebten. „Die Kultur des Drachensteigens stirbt langsam aus“, warnt Roland Scherbaum. Der 55-Jährige betreibt seit einigen Jahren einen Drachenshop auf der Friedrich-Ebert-/Ecke Wallstraße. Mit Bastelaktionen und Angeboten wirbt er um die Schönheit dieser Windspielerei – und möchte den Drachen wieder in die Familien tragen.

Es sieht nach Regen aus, das mögen Drachen gar nicht gerne. Daher treffen wir uns im Shop an der Friedrich-Ebert-Straße mit Roland Scherbaum. Dort baumeln die bunten Gebilde an ihren Schnüren von der ­Decke und lachen mit fröhlichen Gesichtern die Passanten aus dem Schaufenster an. Mal gibt es sie als Fledermäuse, mal als Frösche oder Fische, gut gelaunt blicken sie immer drein. Dabei hat die Branche Drachenbau kaum noch was zu lachen, meint Scherbaum. „Früher gab es 400 Fachgeschäfte in Deutschland, heute sind es nur noch etwa 30.“ Er betreibt eines davon, seit acht Jahren. Zunächst am Dickswall, später dann gegenüber des Rathauses. Doch das Geschäft läuft schlecht. Nicht nur wegen der Kaufhof-Ruine und der Ruhrbania-Baustelle gegenüber – die Branche habe ohnehin in den vergangenen zehn bis 15 Jahren abgebaut. Kostete ein Qualitätsdrache vor dem Euro 400 DM ist er heute nur noch die Hälfte wert. Viele Discounter bieten Drachen schon ab 25 Euro an. „Doch die taugen nichts.“ Die Billig-Drachen gehen nicht nur selbst schnell kaputt, sondern machen auch Fachhändler wie ihn kaputt.

„Als ich Kind war, hat mein Opa noch mit mir Drachen gebastelt“, erinnert sich Scherbaum. Heute gehen sie kaum noch mit ihren Enkeln aufs Feld oder auf die Wiese. „Auch die Väter sind meist mehr mit ihren Handys als mit Basteln beschäftigt.“ Dabei seien es gerade die Eltern oder Großeltern, die den heute Sechsjährigen den Spaß am Drachensteigen vermitteln könnten.

Kaum noch Freiflächen

Ebenfalls traurig findet er es, dass es wenige freie Flächen in Mülheim für das Hobby gibt. Über den Wiesen des Aubergs sehe er nur noch selten Drachen aufsteigen. Dort sei das Fliegen lediglich in einem bestimmten Zeitraum nach dem Heuschnitt zwischen Herbst und Frühjahr erlaubt.

Jens Hapke, Sprecher des Regionalverbands Ruhr, zuständig für die Flächen am Auberg, bestätigt: „Das Drachen steigen lassen ist grundsätzlich erlaubt, aber nur in der Saison von September bis Ende Februar.“ Auf circa zehn Hektar Fläche, zwischen dem nördlichen Teil der Straße Eschenbruch bis zur Voßbeckstraße, sei das Drachen steigen lassen kein Problem. Hapke stimmt zu, dass immer weniger Kinder Drachen fliegen lassen, verweist aber auf mindestens drei Drachenfeste, die in der Region im Laufe des ­Jahres veranstaltet wurden.

Eine Aktivität für die ganze Familie

Trotzdem, meint Scherbaum, müssen Väter wieder dazu gebracht werden, mit ihren Kindern auf die Felder zu gehen. Schließlich sei es eine Aktivität für die ganze Familie: „Man ist draußen in der Natur, kann gemeinsam spazieren gehen und Spaß am Drachen haben.“

Natürlich geht es dem Händler nicht nur um den Erhalt der Kultur, sondern auch um den Erhalt seiner Existenz. Um das Drachenfliegen wieder populärer zu machen, bietet er seit etwa einem Jahr an, Kindergeburtstage zu organisieren. Im Laden steht dafür alles bereit: Wassermalfarben für die Kleinen, Papier, ­Kleber und Schnittmuster. Wenn das Wetter es zulässt, geht Scherbaum mit den Kindern auch nach draußen und lässt die selbst gebastelten Werke in den Himmel steigen. „Dann glänzen die Augen der Kinder.“ Das schaffe keine Spielekonsole. Denn: „Drachen tragen Träume.“