Das Gedächtnis mag nachlassen, die Gefühle aber bleiben. Dementiell veränderte Menschen mögen nicht mehr wissen, wann und wo sie sind oder wer ihnen gegenüber sitzt, doch ob ihnen eine Situation angenehm ist, spüren sie genau. Dies, sagt Barbara Ader, müsse man sich zunutze machen und „die Menschen über die Emotion in ihrer Welt abholen“. Eben das ist das Ziel des Projekts, das die hauptberufliche Pflegekraft und freizeitliche Künstlerin, für das „Haus Gloria“ entwickelt hat.
In der Seniorenresidenz ließ sie Bewohner und Bewohnerinnen kreativ aktiv werden und fand sich dabei bestätigt: „Menschen, die sonst den ganzen Tag vor sich hindösen, werden durch die Kunst angeregt und zum Lächeln gebracht.“ Weil die Kunst sie anspricht, vielleicht Erinnerungen in ihnen weckt, sie interagieren lässt.
Theorie und Praxis vereint die Aktion, die bereits dreimal in der Senioreneinrichtung lief. Ein Stillleben, das Barbara Ader malte, besprach die sechsköpfige Gruppe da etwa – und leistete damit vor allem Erinnerungsarbeit. Was sie auf dem Bild sahen, sollten die Senioren benennen und konnten dabei frei assoziieren.
Spezielle Führungen für Demenzkranke
Das ist es, was Barbara Ader meint, wenn sie sagt, dass die Menschen „angeregt“ wurden: Sie kramten in ihrem Gedächtnis, verbanden Erinnerungen mit Aktuellem. Auch ein Besuch im Lehmbruck-Museum, das Teil des vom Diakonischen Werk gesponserten Projekts war, hatte dieses Ziel. Das Duisburger Haus bietet spezielle Führungen für Demenzkranke – und die Figuren sprechen die meisten an. Besonders die Skulptur „Mutter mit Kind“ bewegte die Frauen. „Das kann natürlich auch negative Gefühle wecken“, räumt Barbara Ader ein. Aber das gehöre eben dazu.
An dem Projekt nehmen aber nicht nur an Demenz Erkrankte teil. Bewusst entschied sich Barbara Ader für gemischte Gruppen. Da schöpfte die Künstlerin aus ihrer Erfahrung als Pflegekraft. „In einem Heim gibt es immer eine Hierarchie: Die Dementen, die kleckern und nichts mehr alleine können, und die Nicht-Dementen. Dieses Denken will ich aufbrechen“, sagt sie. Denn wenn es ans gemeinsame Malen geht, zeigt sich, wie viel dementiell veränderte Menschen noch können und dass nicht nur die Emotionen bis zum Schluss bleiben, sondern auch die Kreativität. Selbst für Barbara Ader, die im Haus Gloria arbeitet und dessen Bewohner gut kennt, war dies ein „tolles Erlebnis“; auch sie lernte die Menschen mal anders kennen.
"Wir zeigen den Menschen, was noch geht"
Natürlich, sagt die Kursleiterin, hat sie für den praktischen Teil klare Vorgaben gemacht, hat sich überlegt, welche Methoden und Materialen geeignet sind, um niemanden zu überfordern. „Es gibt Menschen, denen nicht klar ist, dass das, was sie in der Hand haben, ein Pinsel ist.“ Ungiftige Farben zu kaufen, war nur ein Teil ihrer intensiven Vorbereitungen. „Blätterdruck“ lautete das Thema beim Kursdurchgang, beim zweiten malten die Senioren Frühlingsblumen.
Der dritte Kurs mit dem Thema „Herbstgold“ machte Sonnenblumen und Kürbisse zum Motiv, auf einem mit Schwammtechnik gestalteten Hintergrund. Die Ergebnisse, sagt Barbara Ader, seien keine große Kunst, aber für deren Maler wertvoll. Teils lässt sich der Grad der Demenz am Gemälde ablesen, wenn Sonnenblumen zu Farbklecksen werden, aber darum geht es nicht. „Die Menschen sind hochkonzentriert und mit Spaß bei der Sache.“ Wenn die Bilder dann im Flur der Seniorenresidenz hängen, können sie den Verwandten stolz sagen: Das habe ich gemacht. Barbara Ader: „Bei Demenz geht es ganz oft darum, was Menschen nicht mehr können. Wir zeigen ihnen, was alles noch geht.“
Kritik an der Bürokratie
Bei Schülern würde ein solcher Notensprung für wahre Begeisterung sorgen, Volker Simons, Heimleiter des „Haus Gloria“, lässt er jedoch kalt: Vor zwei Jahren hatte der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) die Senioreneinrichtung der Stiftung „Glaubens-Hilfe“ noch mit der Note 4 bewertet. Jetzt vergaben die Prüfer eine 1,1 an das Styrumer Haus. Die Pflege habe sich in den vergangenen Jahren jedoch nicht geändert, betont Simons, sondern nur der Umfang an Papierkram.
Es gibt natürlich Vorgaben, die der MDK macht, die gut und sinnvoll sind – Volker Simons betont das ausdrücklich und er räumt auch ein, dass er einige Kritikpunkte, die 2009 zu der Bewertungsnote 4 führten, nachvollziehen kann. Dennoch, sagt er, „war die Vier damals ein Witz“. Und letztlich sei auch die 1,1 heute ein Witz – nur ließe sich das Verfahren mit einer guten Benotung glaubwürdiger kritisieren, als mit einer schlechten.
Unbürokratisch geht nicht mehr
Gehapert habe es damals nur an der Dokumentation. Als Beispiel nennt Simons das „Beschwerdekonzept“, das nicht schriftlich ausgeführt war: „Wir haben heute 24 Bewohner, 2009 hatten wir 22. Wenn sich jemand beschweren möchte, klopft er bei mir an der Tür und ich regel‘ das direkt und unbürokratisch.“ Unbürokratisch geht heute nicht mehr: Ein Beschwerdemanagement wurde entwickelt, alles läuft schriftlich, wird unterschrieben und archiviert.
Auch andere Konzepte mussten niedergeschrieben werden, wie etwa ein „Konzept zum Umgang mit langanhaltenden Wärmeperioden“. Das sieht etwa die Verabreichung von mehr Flüssigkeit und das Sorgen für mehr Durchlüftung vor. Selbstverständlichkeiten, die man nun aber Schwarz auf Weiß vorzeigen kann. Dinge wie diese, kritisiert Volker Simons, nehmen immer mehr zu: „Pflegekräfte verbringen heute ein Drittel ihrer Arbeitszeit am Schreibtisch.“
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