Essen. . Neben der Primärerkrankung haben Krankenhäuser zunehmend auch mit demenziellen Erkrankungen immer älterer Patienten zu kämpfen. Rund 1,3 Millionen Menschen bundesweit leiden unter einer Demenz – bis 2050 wird sich die Zahl wohl verdoppeln.

In der gewohnten Umgebung hat sie sich zurecht gefunden. Hier ein Notizzettel, der den Weg weist, da eine kurze Erinnerung, die an die Medikamenteneinnahme erinnert. Memos, damit das Leben funktioniert. Wären nicht die Schmerzen gewesen, die anstehende Hüftoperation – sie hätte sich mit ihren Zetteln vielleicht noch ein Weilchen durchs Leben gefunden. Dann folgte für die Seniorin der Eingriff, „und man darf nicht vergessen, dass so eine Operation auch eine vierstündige Narkose bedeutet“, sagt Susanne Johannes, Demenzberaterin im Alfried-Krupp-Krankenhaus.

Von da an ging es mit der alten Dame bergab. „Das erleben wir in solchen Fällen nicht selten“, erklärt Professor Rolf Diehl. „Die Patienten werden immer älter, sind körperlich teils noch fit, zeigen aber eine leichte Verwirrtheit. Doch jeder Eingriff unter Vollnarkose verändert auch den Hirnmetabolismus“ - sprich: den Stoffwechsel des Hirns. Was dazu führe, dass die Balance der Neurotransmitter gestört werde. Womit die Demenz, die vor dem Eingriff nur als leichte Verwirrtheit wahrnehmbar war, postoperativ voll zu Tage treten könne. „Für das Gehirn eines über 70-Jährigen ist eine Operation eine Katastrophe.“

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Doch mit diesen Katastrophen hat das Pflegepersonal in Kliniken zunehmend umzugehen. Das frisch operierte Bein darf nicht belastet werden. „Man kann einem dementen Patienten aber auch 200 Mal sagen, dass er nicht aufstehen soll“, sagt Susanne Johannes, „er wird es trotzdem tun.“ Denn wer nicht wisse, wo er sich befinde, noch, wie er dorthin gekommen sei, halte sich an keine Absprache.

Nun könnte man eine Demenzstation in der Klinik einrichten, „aber das würde wenig Sinn machen, denn die Patienten kommen mit ganz verschiedenen Grunderkrankungen“, sagt Johannes, mit Krebs, Beinbruch, Herzrhythmusstörungen. „Also besuchen wir alle Stationen und bieten zentral eine Beratung an.“

Angehörigen-Gespräch

Das Telefon der Beraterin klingelt, die Frau eines in der vergangenen Woche entlassenen Patienten steht im Foyer, braucht Hilfe im Umgang mit ihrem Mann. „Viele Informationen habe ich schon bekommen, doch es tun sich immer neue Fragen auf“, sagt die Frau. 2008 hätten sich erste Anzeichen von Verwirrtheit gezeigt, „doch die hat mein Mann versucht zu überspielen.“ Dann kam der Krebs und damit die Einnahme von Medikamenten, die das Fortschreiten der Erkrankung begünstigten. „Im Moment ist es ganz schlimm“, sagt die 60-jährige Ehefrau. „Mein Mann beschuldigt mich, ich würde versuchen, ihn ins Heim abzuschieben.“ Was sie nicht wolle. Hilfe brauche sie und Unterstützung, „denn ich arbeite noch und kann nicht den ganzen Tag zu Hause sein.“

Susanne Johannes führt Gespräche wie dieses tagtäglich, hört zu, bemüht sich, den Angehörigen Hilfen dort anzubieten, wo sie gebraucht werden, Akzeptanz zu wecken für den Demenzpatienten. „Stellen Sie sich vor: Sie stehen in China am Bahnhof, haben keine Orientierung und es gibt niemanden, der Ihre Sprache spricht. Aber alle reden auf Sie ein.“ So müsse sich ein dementer Mensch fühlen.

Auf den Patienten einzureden, könne Aggressionen hervorrufen. „Er wird sich angeklagt fühlen, ohne zu wissen, wovon sie reden.“ Zuhören müsse man, Geduld aufbringen, Verständnis zeigen.

Gnade des Vergessens

Darüber hinaus sei es wichtig, rechtliche Fragen zu klären, Hilfe zu bekommen in der Pflege und nicht zuletzt Vertrauenspersonen zu finden, die den Patienten stundenweise betreuen. Susanne Johannes gibt der Frau Adressen an die Hand, spricht über den Verlauf der Krankheit. „Wenn die Demenz weiter voranschreitet, nehmen auch die Ängste und damit die Aggressionen ab.“ Denn wenn der Wechsel von wachen Momenten und Verwirrtheit überschritten sei, der Patient sich nicht mehr darauf besinnen könne, etwas vergessen zu haben, werde auch für ihn der Zustand leichter erträglich.

Teure Pflege für Demenzpatienten

Zeichnen Sie einen Kreis, dazu das Ziffernblatt einer Uhr und markieren Sie die Zeit 11.30 Uhr. „Das ist eine ganz einfache Aufgabe, die ein hirngesunder Mensch in der Regel gut bewältigen kann“, sagt Professor Rolf Diehl. Menschen, bei denen aber das räumliche, semantische und planende Denken nachlasse, hätten Mühe damit, „der Test zeigt eine Demenz schon im Frühstadium“, erklärt Diehl.

Der Neurologe Professor Rolf Diehl behandelt Demenzpatienten am Krupp-Krankenhaus. Foto: Ulrich von Born
Der Neurologe Professor Rolf Diehl behandelt Demenzpatienten am Krupp-Krankenhaus. Foto: Ulrich von Born © WAZ FotoPool

Rund 1,3 Millionen Menschen bundesweit leiden unter einer Demenz – bis 2050 wird sich die Zahl nach Expertenschätzungen verdoppeln. „Das ist eine immense Aufgabe für das Gesundheitssystem“, sagt Diehl – und nicht zuletzt für die Krankenhäuser. Wird ein Patient zur Krebsoperation aufgenommen, können Kliniken die Krebsbehandlung über eine Fallpauschale abrechnen. Um den pflegerischen Mehraufwand für einen Demenzpatienten in Rechnung stellen zu können, sei jedoch zusätzlich ein hoher Dokumentations-Aufwand nötig. Und selbst dann rechne sich der Einsatz von Demenzberatung und speziell geschultem Pflegepersonal kaum. Weswegen die „Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung“ einspringt, einen Teil der höheren Kosten trägt.

Geschult werden nämlich nicht nur Ärzte und Pflegepersonal. Auch das Hauspersonal müsse besonders sensibel mit Demenzpatienten umgehen, sagt Susanne Johannes. Wer verwirrt ist, sei leicht ängstlich, reagiere entsprechend aggressiv oder sei besonders aktiv und überdreht. Susanne Johannes nennt ein Beispiel: „Wir hatten eine Patientin, die sich zu Hause abreagiert hat, indem sie exzessiv putzte.“ Ein pflanzliches Reinigungsmittel organisierte Johannes, dazu Lappen, Eimer und Wischmopp. Die Patienten reinigte das Bad ihres Krankenhaus-Zimmers – und wurde merklich ruhiger. Eine einfache Lösung, die ohne Patienten- und Angehörigengespräch kaum gefunden worden wäre. Was jedoch Zeit kostet. Zuwendung, die im Gesundheitssystem nicht vorgesehen sind.