Mülheim. .

Die Kampagne „Crash Kurs NRW“ will mit Bildern realer Unfälle junge Fahrer schockieren – und das wirkt.

Nur einige Quadratzentimeter misst dieser rotbraune Fleck auf der Laterne am unteren Ende der Aktienstraße. Dabei spiegelt er das Schicksal einer ganzen Familie wider. Ein Student fuhr im Februar gegen diesen Mast, er trug keinen Helm und verunglückte schwer. „Der blutige Abdruck stammt von seinem Kopf und ist dort immer noch zu sehen“, weiß Polizist Marc Feldermann, der damals als erster am Unfallort eintraf.

Er hat auch Bilder davon, nicht nur im Gedächtnis, auch auf der Leinwand neben ihm. Denn dieser Unfall ist Teil einer neuen Aufklärungskampagne der Polizei. Bilder realer Verkehrsunfälle sollen Fahrer vom Rasen abhalten. „Crash Kurs NRW – Realität erfahren. Echt hart“ will an junge Fahrer zwischen 17 und 24 Jahren appellieren, sich aufmerksam im Straßenverkehr zu bewegen – und das nachhaltig schonungslos: Mit Bildern, Filmen und Erzählungen echter Unfallszenarien, die vor ihrer Haustür passiert sind. Rund 120 Zwölftklässler der Luisenschule nahmen am DOnnerstag im Hörsaal des Max-Planck-Instituts teil.

Erschüttern statt predigen

Ein Raunen geht durch die Reihen. Einige reißen die Augen auf, andere halten sich lieber den Schal vors Gesicht. Vorne flackert ein Film mit Szenen über die Leinwand, die die Schüler sonst nur aus dem Kino kennen. Ein Taxi mit zerbeultem Kotflügel, daneben ein zertrümmertes Mini-Motorrad, daneben schlängelt sich eine Blutspur in Richtung Gully. Diese Szenen sind echt, passiert am Düsterweg im Jahr 2007. Es sind Aufnahmen der Polizei, der Feuerwehr und der Rettungsdienste, die hier gezeigt werden – nichts für Zartbesaitete. „Wir wollen gezielt einen Schock-Effekt hervorrufen, der langfristig im Gedächtnis bleibt“, erklärt Hauptkommissar Michael Seth, der die Kampagne als Opferschutzbeauftragter der Polizei für Essen und Mülheim organisiert hat.

6000 Verkehrsunfälle im Jahr

Crash Kurs NRW“ ist ein bundesweit einmaliges Projekt, durch das die Polizei NRW die Unfallprävention bei Jugendlichen verbessern will. Dafür möchte Opferschutzbeauftragter Michael Seth gerne alle weiterführenden Schulen ansprechen. „Wenn wir erreichen, dass die jungen Menschen nachdenken und die Gefahren einschätzen lernen, dann haben wir viel erreicht.“ Allein in Mülheim seien jährlich 600 Verletzte in über 6000 Verkehrsunfälle verwickelt. „Davon sind 100 junge Menschen.“ Hauptunfallursachen seien vor allem zu hohe Geschwindigkeit und Alkohol am Steuer.

Erschüttern statt predigen. Die Botschaft: „Verkehrsunfälle sind vermeidbar.“ So orientiert sich das Projekt an einer ähnlichen Kampagne aus Großbritannien. Dort sanken die Verkehrsunfallzahlen durch die „Crashkurse“ um 50 Prozent. Seth: „Das Vortragswesen und der erhobene Zeigefinger des Schutzmannes in Schulen und Fahrschulen hat ein Ende.“ Mit lokalen Bildern und Berichten wollen sie die Jugendlichen emotional erreichen.

Anschaulich und authentisch wird’s, wenn Menschen erzählen, die beinah täglich mit Unglücken zu tun haben. Und so erfahren die Schüler, dass selbst Profis schwere Unfälle nur schwer verarbeiten. Dem Zuhörer schnürt sich die Kehle zu, wenn Pfarrer und Notfallseelsorger Michael Manz berichtet, wie er einer jungen Frau beisteht, die gerade ihren Freund bei einem Motorradunfall verloren hat. „Sie schrie, schluchzte und schlug mit Fäusten auf mich ein. Ich muss das aushalten – denn dafür bin ich da.“

„Besonders beeindruckend fanden wir den Vater des Opfers“, sagen Michel (18), Mattis (17) und Julian (18). Ralf Schultheiss verlor seine Tochter Pia bei einem Verkehrsunfall vor zwei Jahren. Offen stellt er sich vor die Stufe und erzählt, wie die Welt für ihn zusammen brach, „sich die Werte auf den Kopf stellten.“ Von Depressionen, Suizidgedanken und sozialer Isolation nach einem solchen Unglück. Er mahnt: „Ihr habt nicht nur Verantwortung für euer Leben, sondern auch für das eurer Eltern und Geschwister.“

Michel, Mattis und Julian haben bereits den Führerschein und wollen „demnächst vorsichtiger fahren“. Gut finden es die Jungs, dass die Betroffenen selbst gesprochen haben. „Das ist berührender als Aufklärungsfilme, die wirken immer so gestellt“, sagt Michel. Die Unfallbilder seien ja nur so krass, weil sie real und an Orten passiert sind, an denen sie täglich selbst vorbei fahren. „Das prägt sich ein.“

Auch Nina (17) und Kristina (18) setzen sich nun mit geschärften Sinnen hinters Steuer, vor der gelben Ampel wollen sie nun die Bremse statt das Gaspedal treten. „Die Bilder und Berichte waren schon sehr krass. Aber anders wirkt’s wohl nicht.“