Mülheim. .

Keine andere Stadt im Ruhrgebiet sei so gespalten wie Mülheim, nirgends sei das Gefälle zwischen arm und reich, hoher und niedriger Bildung so steil wie in der Stadt am Fluss, sagt Sozial-, Sport- und Gesundheitsdezernent Ulrich Ernst . Jene „Spaltung“ beginnt früh, vor der Einschulung. Eppinghofen/Altstadt hier und Speldorf Nordwest-Nordwest dort – zwei Welten.

Die Stadt Mülheim hat die Erhebung von Daten in den vergangenen Jahren deutlich ausgeweitet, und zwar mit der Schuleingangsuntersuchung. Jedes Jahr werden dabei 1300 Kinder nicht nur gemessen und gewogen, nicht nur auf Auffälligkeiten überprüft, sondern auch die soziale Herkunft, die Wohnverhältnisse, das Sport- und Freizeitverhalten oder auch der Medienkonsum werden hinterfragt. Eine möglichst kleinflächige Analyse strebt Volker Kersting, Abteilungsleiter Stadtforschung und Statistik, an.

Auffälligkeiten vor allem bei der Sprache

Eppinghofen, Innenstadt, Styrum, Teile von Dümpten – dort leben die „Sorgenkinder“ in der Stadt. Auffälligkeiten gibt es vor allem bei der Sprache. Dort, wo Deutsch nicht die Erstsprache ist, zeigen sich zur Einschulung bei fast 60 Prozent der Kinder mangelhafte Sprachkenntnisse. Bei jedem vierten Kind ist zudem die Gesundheitsvorsorge lückenhaft, fast 20 Prozent der Kinder haben Übergewicht.

Auffälligkeiten in der Gesundheit und in der Entwicklung kumulieren häufig, so Kersting. Lediglich 45 Prozent der Kinder mit Deutsch als Erstsprache sind ohne jede Auffälligkeit. Aber: 32 Prozent der Kinder, die Deutsch nicht als Erstsprache haben, weisen drei und mehr Auffälligkeiten auf.

"Soziale Vererbung"

Von der „sozialen Vererbung“ spricht Ernst, wenn er die Auffälligkeiten mit der jeweiligen Bildungsschicht im Elternhaus vergleicht. Dort, wo im Elternhaus eine geringe Bildung vorhanden ist, weist fast jedes zweite Kind eine nicht ausreichende Gesundheitsversorgung auf, über 40 Prozent haben die Früherkennungsuntersuchungen nur lückenhaft wahrgenommen.

Je geringer die Bildung im Elternhaus, desto seltener sind die Kinder in einem Sportverein aktiv. Nur jedes dritte Kind aus diesen Familien gehört einem Sportverein an, wo der Bildungsgrad in den Familien hoch ist, sind es immerhin 82 Prozent.

Eletronische Medien prägen den Alltag

Statt Sport prägen elektronische Medien den Alltag: In bildungsfernen Elternhäusern liegt der Konsum von elektronischen Medien über zwei Stunden täglich. Und je höher der Konsum elektronischer Medien sei, desto auffälliger seien Sprachdefizite, desto häufiger trete Übergewicht auf, sagt Kersting zu den Folgen.

Dezernent Ernst ist überzeugt davon, dieser Entwicklung effektiv begegnen zu können. Erste Erfolge könne die Stadt bereits verzeichnen, etwa durch intensive Elternarbeit. Oder durch eine viel engere Verzahnung von Kindertagesstätten, Schulen und Sportvereinen.

"Sport ist hochwirksam für die Birne"

„Wir dürfen hier keine Konkurrenz sehen“, betont Ernst. Denn Sport treiben, so Kersting, bewirke viel Positives für die gesamte Entwicklung: „Sport ist auch hochwirksam für die Birne.“ So habe man herausgefunden, dass Klettern mathematisches Denken fördert. Oder auch das soziale Verhalten positiv prägt: Kinder, die weniger als einmal in der Woche Sport treiben, weisen doppelt so oft Verhaltensstörungen auf wie jene, die regelmäßig und häufiger sich sportlich betätigen.

Eine weitere „Stellschraube“ ist der Kindergartenbesuch über mehrere Jahre: Kinder, die nur ein Jahr oder noch kürzer eine Kita besuchen, haben bei der Einschulungsuntersuchung doppelt so viele Probleme wie jene, die drei Jahre oder noch länger in einer Kita waren.

Wachsendes gesellschaftliches Risiko

Die Qualität in den Kitas weiter zu steigern, ist für Ernst ein wichtiges Anliegen. Ziel sei es, „die Förderung in den betroffenen Stadtgebieten noch stärker auf die Bedürfnisse und Defizite auszurichten“. Die Finanzierung ist nicht einfach, aber lohnend. „Wir können“, sagt der Sozial- und Gesundheitsdezernent, „es uns weder aus sozialen noch aus pädagogischen, aber auch aus volkswirtschaftlichen weiter leisten, Kinder scheitern zu lassen.“ Dies sei ein wachsendes gesellschaftliches Risiko.