Mülheim. . Die Ausstellung “25 Jahre nach Tschernobyl, Menschen - Orte - Solidarität“ besitzt wegen der Zwischenfälle im Atomkraftwerk Fukushima in Japan brisante Aktualität. Noch bis zum 25. März wird die Ausstellung im Altenhof in Mülheim gezeigt.

858 646 – diese Zahl steht für die Menschen, die während und nach dem GAU 1986 im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl als registrierte Liquidatoren versuchten, die radioaktive Strahlung am Unglücksreaktor in Sekunden-Einsätzen und unter Einsatz von Schaufeln einzudämmen – und mitunter mit ihrem Leben oder schweren Erkrankungen bezahlten.

Dies ist eine der Informationen, die die Besucher bei der gestrigen Eröffnung der Ausstellung „25 Jahre nach Tschernobyl, Menschen – Orte – Solidarität“ im Altenhof bewegte, auch wegen der aktuellen Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima. Wohl kein Verantwortlicher der Wanderschau, die bis Freitag im „Altenhof“ zu sehen ist, hat erahnen können, welche Brisanz ihrer Thematik damit verliehen ist.

„Das so was ausgerechnet jetzt passiert, führt einem vor Augen, wie gefährlich diese Technik ist“, kommentiert Susanne van Ackern aus Selbeck. Ihre Schwägerin Olga Rensch vom Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) in Dortmund hat die Ausstellung mitkonzipiert und führt in Mülheim durch die multimediale Schau, die das Unglück, die Folgen, die persönlichen Schicksale von Zeitzeugen, aber auch die Solidarität, das globale Hilfsengagement danach beleuchtet.

Bilder bewegen die Besucher

„Es herrscht ein gewisses Maß an Unsicherheit darüber, wie man mit den Ausstellungsinhalten und den aktuellen Bildern umgehen soll“, findet Besucher Frank Jürke und ringt weiter nach Worten: „Es ist schwer auszudrücken, was einem dabei durch den Kopf geht.“ Wie lange ist die Gegend radioaktiv verstrahlt und gilt als unbewohnbar? Es ist eine der Fragen, die er hat.

Dennoch hat der neutrale Beobachter am Eröffnungstag in Mülheim nicht das Gefühl, dass die von den Fernsehbildern geschockten Menschen jetzt erst recht in den Altenhof strömen. Abseits von Politikern, Ausstellungsmachern, Kirchenvertretern und den vielen Mitgliedern der Mülheimer Initiative „Tschernobyl-Kinder“, die gegen das Vergessen und für das Verstehen gerade jüngerer Generationen kämpfen, kommen nur wenige „Normalbürger“ aus aktuellem Anlass. Da ist es nur bezeichnend, dass der gemeinnützige Verein mehr Mülheimer Gastfamilien sucht, die Kinder aus betroffenen Gebieten in Weißrussland aufnehmen.

Seit 1992 hat die 70 Mitglieder zählende Initiative Tschernobyl-Kinder rund 1600 Mädchen und Jungen aus Weißrussland zur Erholung in Mülheimer Familien vermittelt. „Ich hatte damals beim Zeitunglesen am Frühstückstisch davon gehört“, erzählt Elfriede Sperling aus Broich, die 1996 ein Gastkind aus dem Dorf Dobrin, rund 60 Kilometer nördlich vom Unglücksort, aufnahm. 1999 folgte der Gegenbesuch. „Danach wusste ich, dass es mir hier saugut geht“, sagt sie nachdenklich. Bis heute unterstützt sie die Familie mit Sachspenden und Geld. „Der Dank ist die Herzlichkeit und Freundschaft, die ich erfahren habe“, betont sie.

Fukushima bringt die Erinnerung an Tschernobyl wieder zurück

Die Vorfälle in Fukushima und die Erinnerung an Tschernobyl sind für die Anwesenden untrennbar: „Wir sind nun in brutaler Weise gefordert“, merkt Dagmar van Emmerich an. Auch Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld (SPD) kämpft nachdenklich mit der Wahl ihrer Worte: „Eigentlich kann man alle Manuskripte auf die Seite legen.“ Die Situation könne nicht beklemmender, verstörender und erschütternder sein als aktuell.

„Jugendliche sollen verstehen lernen, und nicht vergessen“, sagt Dagmar Mühlenfeld. Dem kommt man in Mülheim mit einem vielfältigen Begleitprogramm im „Altenhof“ nach:
• Am Montag, 21.März, zeigt Prof. Dr. Wolf-Michael Pieper von 19 bis 21 Uhr den ukrainischen Spielfilm „Raspad – der Zerfall“ von 1990, mit anschließender Diskussion.
• „Von der Bombe zum Meiler – kurzer Abriss der Entwicklung von Kernkraftwerken“ lautet der Vortrag mit anschließender Diskussion von Dr. Wolf Jürgen Richter am Dienstag, 22. März, 19 bis 21.15 Uhr.
• Der Film zu Gudrun Pausewangs Roman „Die Wolke“ wird am Mittwoch, 23. März, 19 bis 21.30 Uhr, gezeigt.
• Schulklassen und Gruppen können bis Freitag ein Zeitzeugengespräch mit Wladimir Gudov, der 1986 zum Katastropheneinsatz in Tschernobyl einberufen wurde, vereinbaren. Kontakt: 48 53 81.