Mülheim. Zwei Stunden lang geht es bei der Stadtrundfahrt durch Mülheim in alle Himmelsrichtungen. Reiseführerin Annette Dormann weiß zu allen Orten unterhaltsame Anekdoten zu berichten. Selbst Alteingesessene sehen dabei noch allerhand Unbekanntes.

Ein paar Fakten hier, eine schöne Anekdote dort: Reiseführerin Annette Dormann serviert ihren Gästen die Ruhrstadt in appetitlichen Häppchen. Zwei Stunden lang geht es in alle Himmelsrichtungen durch Mülheimer Höhepunkte.

„Hier wirst du nicht alt“, so viel war Walter Schmidt gleich klar, als er 1951 aus dem grünen Heidelberg ins kriegsgeschüttelte Mülheim kam. Dabei wollte er bloß eines nicht: Koch werden in der Gastronomie seiner Eltern. So kam es auch, Schmidt ging unter Tage und erlebte gleich zwei Zechensterben mit: erst schloss die Wiesche, später die Rosendelle. In einem Punkt behielt er aber Unrecht: Schmidt wurde sogar recht alt im Revier – 79 Jahre – und entdeckte sein Herz für die Menschen.

Ex-Zechenarbeiter erzählt vom harten Schuften im Stollen

Irren ist menschlich, oder wie der Ex-Zechenarbeiter mit einem Augenzwinkern sagt: „Wenn ich Recht hatte, hatte ich Recht – oder ich hab’ es mir zumindest eingebildet.“ Am Sonntagmorgen erzählt er auf einer Stadtrundfahrt des Mülheimer Stadtmarketings über das harte Schuften im Stollen für 4,12 DM Stundenlohn und das frühere Leben in der Mausegatt-Siedlung. Und während sich der Tourbus durch die ebenfalls stollenengen Straßen der von 1899 bis 1911 von Hugo Stinnes und August Thyssen erbauten Siedlung wühlt, folgen rund 20 neugierige Teilnehmer seinen Erzählungen. Zwischendurch gibt es Szenenapplaus für die Fahrkünste des Bus-Chauffeurs.

55 bis 65 Quadratmeter waren die Häuser groß, so Schmidt, zwei Familien lebten darin und die waren weitaus größer als die heutige Normalfamilie. „Die Not war groß“, berichtet er von früher, „doch in der Siedlung hat keiner den anderen hängen lassen.“

Schon das zweite Mal bei der Stadtrundfahrt dabei

Weiter schlängelt sich das Mobil in Richtung Heimaterde. Teilnehmer Helmut Riewe ist zwar erst seit sechs Jahren in Mülheim, aber schon das zweite Mal auf einer Rundfahrt. Wird das nicht langweilig? „Überhaupt nicht“, erwidert er, „es gibt doch immer wieder etwas Neues zu erfahren.“ Über das Max-Planck-Institut hat er auf dieser Tour einiges erfahren und sehen können. Doch jetzt wird es wieder enger, vorbei geht’s an den im halbrund gebauten Kruppschen Kettenhaus-Idyll am Bromersfeld, deren Gärten hinterm Haus „wie Tortenstücke“ angelegt sind, berichtet Reiseführerin Annette Dormann.

Sie leitet seit zehn Jahren solche Rundfahrten und weiß, über jede Ecke das Entscheidende zu berichten: „Die englische Gartenstadt war das Vorbild, nachdem der Mülheimer Architekt Theodor Suhnel diese Siedlung entworfen hat.“ An der Kleiststraße schwenkt sie anekdotisch zu den Frauen der Kruppianer, die jeden Freitag ihren Männern die Lohntüte abschwatzen mussten, bevor diese sie versoffen. Harte Zeiten, harte Kerle und Hartgeld. Das behielten die Malocher heimlich für die Kneipe.

Unterhaltsame Informationen

So unterhaltsam wie kompakt sind Dormanns Informationen – und müssen es auch sein. Denn der Bus rollt und rollt, vorbei am oberen Rumbach – durch dessen unterirdischen Lauf sogar ein VW-Käfer passen würde, verspricht sie –, und quer durch die City zum Frauengefängnis an der Gerichtstraße, gebaut aus Sandstein. „Ehemals“, betont sie, „die Mülheimer Frauen sind so lieb geworden, da wurde es nicht mehr gebraucht.“

Friedrich-Wilhelms-Hütte. Schloss Styrum, Aquarius, Hafen, Theater an der Ruhr – bis ins Dorf Saarn reihen sich die Höhepunkte. Fast sind es zu viele für eine Fahrt, sie machen aber Lust auf mehr.

Antje Monning hat es daher nicht bereut, sich diese Rundfahrt zum Geburtstag schenken zu lassen. Die Mausegatt-Siedlung kannte sie so noch nicht, und „man hört immer etwas Neues“.