Ernst Gerlach hat jenes brisante Thyssen-Buch verlegt, das Elfriede Jelinek zu ihrem „Stücke”-Beitrag „Rechnitz” anregte

Er will Transparenz schaffen. Das war schon sein Ziel, als Ernst Gerlach in den 90er Jahren Oberstadtdirektor in Mülheim war. Im Herbst hat der Vorstand der NRW-Bank ein Buch herausgebracht, das die Rolle der Familie Thyssen während des Nationalsozialismus offen legt. Der brisante Stoff ist Grundlage für Elfriede Jelineks Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)”, das heute Abend bei den Mülheimer Theatertagen gezeigt wird.

Doch der Reihe nach: 2005 stand der Oberhausener Assoverlag vor dem Aus. Ernst Gerlach und seine Frau Ingrid – sie leben in der Nachbarstadt – kauften das kleine Unternehmen. „Wir haben den Verlag völlig neu gedreht und inhaltlich runderneuert”, sagte Ger-lach im Gespräch mit der WAZ. Zwei festangestellte und drei Projektmitarbeiter gehören zum Verlagsstamm.

Seit Errichtung der NRW.BANK im August 2002 gehört Ernst Gerlach dem Vorstand der NRW.BANK an. Dort ist er für die Finanzierung von Fördermaßnahmen zuständig. FREMDBILD
Seit Errichtung der NRW.BANK im August 2002 gehört Ernst Gerlach dem Vorstand der NRW.BANK an. Dort ist er für die Finanzierung von Fördermaßnahmen zuständig. FREMDBILD © FREMDBILD

Den „leichten politischen Touch”, so der ehemalige Verwaltungschef mit SPD-Parteibuch, wollte er ebenso erhalten wie die „starke Ruhrgebietsorientierung”. Der NRW-Banker und ein linker Verlag? Gerlach hat damit kein Problem. „Die Grenzen zwischen rechts und links verschwinden. In dieser Krise ist Verstaatlichung für Konservative plötzlich eine Selbstverständlichkeit.”

Da las Gerlach im Herbst 2007, dass der britische Journalist David R. Litchfield seine 14 Jahre dauernden Recherchen über die Familie Thyssen veröffentlicht hatte. „The Thyssen Art Macabre” war aber nur in englischer Sprache erschienen. Litchfields suchte einen deutschen Verleger und entschied sich für Gerlach. Im Oktober 2008 brachte der Assoverlag die Übersetzung „Die Thyssen-Dynastie – Die Wahrheit hinter dem Mythos” auf den Markt und sorgte für große Aufregung.

Als erster Journalist hatte Litchfield nach eigenen Angaben die Chance, „unzählige Gespräche” mit Baron Heini Thyssen-Bornemisza zu führen. Der Erbe der Industriellen-Familie hatte bislang nur Schlagzeilen als Kunstsammler und glamouröser Ehemann von fünf Frauen gemacht. Erstmals offenbarte Bornemisza Insiderwissen abseits der Pionierleistungen der Stahlbarone, die den Grundstein für den Weltkonzern legten. In seinem Buch beschreibt Litchfield auch ein Massaker an 180 jüdischen Zwangsarbeitern, das sich den Recherchen zufolge im März 1945 auf dem Thyssen-Schloss im österreichischen Rechnitz zugetragen haben soll. Litchfield befasst sich mit der Rolle, die die Enkelin des Konzerngründers August Thyssen, die auf dem Schloss wohnte, dabei spielte. Bislang war nur bekannt, dass der Bruder Fritz anfangs mit der Nazi-Führung kooperierte, dann aber in den Widerstand ging und schließlich mit dem Konzentrationslager bestraft wurde. „Eine offizielle Geschichtschreibung des Thyssen-Konzerns hat es nie gegeben”, sagt Gerlach.

Und ausgerechnet er als Mann der Wirtschaft bringt Licht in das Dunkel? „Man muss sich der Geschichte stellen”, fordert er und betont, er wolle mit der Herausgabe des Buchs „einen realistischen Touch auf die Familie Thyssen werfen”. Der 64-Jährige, der im Sommer als Vorstand der NRW-Bank in den Ruhestand tritt, will nicht missverstanden werden: „Ich will kein Urteil fällen und plädiere dafür, die Dinge aus der damaligen Zeit zu sehen.” Sein Credo: „Transparenz muss sein. Das ist mein aufklärerischer Ansatz. Ich habe auch während meiner Zeit als Oberstadtdirektor versucht, Transparenz in die Verwaltung zu bringen.”