Mülheim. Ganz einfach soll man Balkonkraftwerke installieren können. Wie gut es wirklich geht und wo die Tücken liegen, haben wir in Mülheim getestet.
Hier geht der Wärmetauscher „Mensch“ ziemlich schnell in die Knie: Auf dem Dach des kleinen Gartenhäuschens dürften es am Samstagnachmittag gut 40 Grad in der prallen Sonne sein. Ich will zwar Sonnenenergie tanken, aber doch nicht so! Sondern mit einem steckerfertigen Balkonkraftwerk. Das soll ja im Vergleich zu großen Photovoltaik-Anlagen kinderleicht zu montieren sein. Nun ja.
Für die unabsehbaren Tücken der Planung und Durchführung habe ich mir vorsichtshalber kompetente Nachbarn ausgeliehen: Birger Bender, Diplomingenieur, „aber ,rerum montes’“, hebt dieser zur Betonung und im halben Ernst den Zeigefinger – in „Angelegenheiten des Berges“ also, womit man sich auch ohne großes Latinum vom „nur“ studierten Ingenieur zu distinguieren weiß. Nachbar Manfred Happe steht mit handwerklicher Erfahrung und Kraft zur Seite. Das müsste klappen. Klar doch.
Balkonkraftwerk in Mülheim: Ein Blick auf die Fakten
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Nur in der Beurteilung der Zeit gehen Ingenieur und Optimist auseinander: Ich sage, bis elf liegt die Konstruktion, ab 13 Uhr gibt’s Strom umsonst. Der Fachmann rechnet besser noch mal vier Stunden drauf.
Doch erst ein Blick auf die Fakten: 850 Watt sollen zwei Solarpaneele erzeugen können. ,Bifazial’ (beidseitig) sollen vollmundig sogar 1050 Watt zusammenkommen – wenn also Sonnenlicht zusätzlich von einer möglichst hellen Fläche auf die Paneelrückseite reflektiert wird. Auf dem Dach meines Gartenhauses mit Bitumenschindeln kann man das schon mal getrost vergessen. Dafür aber waren die robusten Module mit beidseitigem Glas für gerade einmal 530 Euro inklusive einem Wechselrichter und 10-Meter-Kabel zur Steckdose deutlich günstiger sogar als die einfachere Konkurrenz. Zuschüsse wie in anderen Kommunen gibt es in der armen Stadt leider nicht – rechnen wird es sich trotzdem.
Doch egal, was die Bretter zum Sonnensurfen leisten können, begrenzt wird die Sonnenkraft ohnehin gesetzlich und technisch durch den besagten Wechselrichter. Denn der kann maximal 600 Watt der Panels von Gleichstrom in Wechselstrom umwandeln. Vorerst: Die Grenze soll ab 2024 auf 800 Watt steigen und der Wechselrichter mit dem Stichtag und einem Softwareupdate dann mehr Strom in das Hausnetz durchlassen. Der Wechselrichter kann aber auch in anderer Weise einen Engpass bilden, wie sich später in der Praxis zeigen wird.
Vor dem Stromfarmen nervt die graue Theorie
Doch bevor es ans Stromfarmen geht, nervt graue Theorie: Ich muss die Anlage anmelden als steckerfertige Photovoltaikanlage bis 600 Watt. Das geht beim Netzbetreiber (nicht beim Stromanbieter!) Westnetz in fünf Minuten: Der Betreiber prüft die Zuständigkeit, man gibt seinen Standort an, die Leistung und die Nummer des Stromzählers.
Danach muss die Anlage noch im Markstammdatenregister der Bundesnetzagentur eingetragen werden. Das ist erheblich aufwändiger. Einen guten Leitfaden gibt es aber bei verschiedenen Portalen wie „mein-solarwerk.de“.
Die Praxis: Ist alles kein Hexenwerk – oder vielleicht doch?
Am Samstagmorgen um 9 Uhr ist die Arbeitslatzhose endlich an, das Käppi sitzt und Nachbar Bender hat für jede mögliche Gegenwehr ein Werkzeugbataillon bereitstehen: Balkonkraftwerke aufzustellen ist an sich kein Hexenwerk – wenn man sich vorbereitet. Das Gartenhaus mit Ost-West-Ausrichtung bekommt aktuell ab 8.30 Uhr kräftig Lichtenergie, bis die ab etwa 17 Uhr hinter hohen Fichten verschwindet. Schatten fällt bis dahin nicht aufs Dach – auch der Apfelbaum vor dem Häuschen wird so bald nicht im Wege stehen. Es hilft, vorher einen Tag lang auf den Sonnenstand zu achten.
Eine Garten-Stromleitung von hier bis zum Zählerkasten haben wir vor Jahren installiert. Ich kann die Anlage deshalb später einfach mit einem normalen Stecker vom Wechselrichter aus an die Steckdose anschließen.
Damit die Panels aber den ordentlichen Segen erhalten, müssen sie auf dem Dach befestigt werden. In meinem Fall besteht die Konstruktion aus Dachhaken, Aluprofilen und Halterungen, mit denen die Paneele auf Montageprofile geschraubt werden. Wichtig für alle, die kein Balkonkraftwerk im Set mit der Konstruktion kaufen: Paneele und Halterungen gibt es in zwei Stärken, 3 und 3,5 Zentimeter. Vorher nachmessen!
Guter Rat: „Mach kräftig Räuberscheiße drauf!“
Damit die Bitumenschindeln anschließend auf dem Gartenhaus dicht bleiben, habe ich mich für Dachhaken entschieden, die unter den Schindeln mit Schrauben befestigt werden. Ingenieur Bender rät mir dazu, die Schrauben mit Querlatten und Bundmuttern von innen zu stabilisieren. Holzschrauben dagegen könnten sich durch Bewegung der Konstruktion etwa bei Wind womöglich lösen. „Anschließend machst du kräftig Räuberscheiße auf die Haken und drumherum und legst die Schindeln wieder drüber.“
Wer da entrüstet „wie bitte?“ fragt: Was dem Bergmann so flüssig über die Lippen geht, können Zartbesaitete im Fachgeschäft auch unter dem profan lautenden Terminus „dauerelastische Bitumenspachtelmasse“ erfragen.
Die Montage zu dritt aber empfiehlt sich. Oben bohre ich bei 85 Kilo Lebendgewicht (nicht unschärfenbereinigt) durchs Dach. Im Häuschen halten Birger und Manfred die angelegten Konterlatten an, anschließend werden Dachhaken und Latten miteinander verschraubt. Oben lege ich das Ganze vorschriftsmäßig in Räuberscheiße ein, Schindeln wieder angepresst. Dicht. Hoffentlich.
Tipp: Wechselrichter in den Schatten verlegen
Der schwerste Teil liegt damit hinter uns, allerdings ist es auch schon 13 Uhr – der Blick des Ingenieurs sagt: „Hab’ ich doch gewusst.“ Jetzt müssen die 2,4 Meter langen Montageschienen mit Hammerkopfschrauben an den Dachhaken befestigt werden. Dann heben wir die Paneele à 25 Kilogramm aufs Dach und schrauben sie an – sogar noch vor Sonnenuntergang.
Jetzt müssen die Kabel der Paneele mit dem Wechselrichter verbunden werden. Ein Tipp: Auf die Schiene unter die Paneele würde ich den nicht setzen, obwohl es vielfach so empfohlen wird. Warum? Der Wechselrichter ist dann den gesamten Tag der Hitze ausgesetzt. Laut Anleitung ist er zwar für Betriebstemperaturen bis zu 65 Grad ausgelegt. Die sind aber auf dem Dach schnell erreicht und schon vorher fährt das Gerät aus Überhitzungsschutz seinen Betrieb runter. Sprich: Er wandelt weniger Strom um.
Ich habe ihn deshalb auf der Nordseite des Häuschens angebracht und die Kabel dorthin verlängert. Dann kommt der Stecker in den Anschluss am Gartenhäuschen – der entscheidende Augenblick …
Dann kommt der entscheidende Augenblick: Energie!
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„Energie!“ würde Captain Jean Luc Picard mit gestrecktem Zeigefinger der Enterprise-Crew zurufen. Das jedenfalls zeigt die App auf meinem Smartphone an, das ich mit dem Wechselrichter über Bluetooth und dann W-Lan verbunden habe: 222 Watt Spitzenleistung und 270 Watt Strom insgesamt – im alten Enterprise-Jargon vielleicht „Sol I“ -, was vermutlich der späten Uhrzeit geschuldet ist. Doch kommen die auch im Hausnetz an? Wer einen Zweirichtungszähler oder auch Smart-Meter in Sicherungskasten installiert hat, kann das zumindest genau ablesen.
Und wer einen alten Ferraris-Stromzähler ohne Rücklaufsperre besitzt, kann dies an der rückwärts laufenden Zählerscheibe ablesen - sofern der Verbrauch niedriger liegt als der erzeugte Strom. Bisher waren rückwärtslaufende Stromzähler nicht erlaubt, seit das neue Solarpaket I gilt, sind die alten Zähler aber übergangsweise geduldet.
„Here comes the sun“ - erstes Fazit
Elf Tage lang läuft die Anlage inzwischen und hat in dieser Zeit knapp 21 Kilowattstunden Strom produziert. Bis zu 561 Watt Spitzenleistung erreichte die Anlage punktuell. Nicht schlecht. Die Hitzeproblematik aber ist bei Außentemperaturen um die 30 Grad zu spüren. Nach gut sechs Stunden Dauersonne geht die Leistungskurve gegen 13 Uhr kontinuierlich runter und fällt gegen 15 Uhr sogar einmal drastisch ab – bei strahlend blauem Himmel. Nach einer halben Stunde bei nur noch 77 Watt steigt sie wieder über 150.
Über diese Problematik werde man nicht informiert, kritisiert Ingenieursnachbar Birger Bender, der ebenfalls ein Balkonkraftwerk besitzt – „das wäre ein Thema für den Verbraucherschutz“. In der Anleitung meines Wechselrichters gibt es nur eine kleine Fußnote dazu, dass das Gerät die Leistung bei Hitze runterfährt. Eine aktive Kühlung gibt es nicht. Wie realistisch sind also 800 Watt, die ab Januar 2024 erzeugt werden dürfen? Möglicherweise kann man die Temperatur des Wechselrichters mit Kühlrippen niedriger halten. Auch das werde ich testen: in den kommenden Tagen.
Rechnet sich das Balkonkraftwerk dennoch? Die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin hat dafür einen Rechner programmiert unter solar.htw-berlin.de/rechner/stecker-solar-simulator/ Der kommt bei meiner Anlage und einer Investition von rund 660 Euro inklusive Montage zu dem Ergebnis: Nach vier Jahren soll sich das Balkonkraftwerk amortisiert, 736 Kilowattstunden Strom im Jahr produziert und über vier Jahre 2440 Kilogramm CO2 gespart haben. Das freut den Optimisten.