Mülheim. Mit spektakulären wie urkomischen Darbietungen begeistern inklusive Künstlergruppen die Gäste im Mülheimer Schloß Broich. So launig war der Abend.
Mit reichlich Glück konnte am Samstag die Broicher Schlossnacht mit dem traditionellen „Flying Wheelchair“ vor nächtlichem Himmel ein idyllisches Ende finden. Dem angekündigten und dann auch tatsächlich stattfindenden Regenguss fiel nur die erste Vorstellung der Luftakrobatikshow von „La Campistany“ zum Opfer – zu gefährlich. Ansonsten bereiteten die Kunstschaffenden – mit und ohne Handicap – den rund 500 Zuschauenden einen wahrlich magischen Abend.
Seit vielen Jahren verbindet das integrative Festival unterschiedliche Künstler mit und ohne Handicap. „Ich finde es toll“, sagt Maya begeistert, „dass alle gleich gestellt sind, man keinen Unterschied merkt.“ Sie kommt jetzt schon zum „5. oder 6. Mal“, sagt sie strahlend, als die inklusive Band „Créahm“ aus Lüttich/Belgien ihren ersten Auftritt beendet und das Publikum routiniert die Sitzbänke zur nächsten der drei Bühnen trägt. Dort erwartet sie eine „Berühmtheit in der Szene“, wie Organisator Gert Rudolph verrät.
Mit keckem Charme und Melone
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Und wirklich präsentiert Fabian Flender mit seinem kecken Charme und Melone ein abwechslungsreiches Programm aus Slapstick, Jonglage und bezaubernder Pantomime. Auch seine Situationskomik, wenn etwa bei seiner Keulenjonglage einige Gäste direkt vor der Bühne vorbeigehen und damit seine Konzentration vermeintlich stören, sorgt für viele Lacher. Wie überhaupt viel bei ihm gelacht und geklatscht wird. Unter johlendem Applaus verabschiedet er sich – fürs Erste.
Die tanzbar_bremen beeindruckt mit ihrer eindringlichen Performance „Ballroombusters“, welch großartige Auftritte aus verschiedenen Tanzstilen und Techniken entstehen können. Erst rhythmisch betont, dann immer fließender entstehen permanent neue Konstellationen der Tanzenden in allen Varianten von Führenden und Geführten bis hin zum (fast) ’normalen‘ Pärchentanz.
Mülheimer Publikum genießt die Schlossatmosphäre
Brüllend komisch kommt der nur einmal auftretende Clown Murmuyo in seinem roten Kostüm daher: nur pantomimisch und pfeifend kommunizierend – doch das sehr beredt. Anfangs dem Warnton eines technisch ausgestatteten Autos beim Rückwärtsfahren ähnlich, ist die Bandbreite seiner Pfiffe nahezu unendlich. Er nutzt die unterschiedlichsten Sounds sowohl für Anweisungen seinem Fahrer gegenüber als auch im direkten Publikumskontakt.
„Leicht übergriffig“ finden manche dann doch seinen überbordenden Witz, etwa wenn er Männer mittig auf den Mund küsst, sie spielerisch schlägt oder ihnen einen Schuh vom Fuß reißt und ins Publikum wirft. Massive Einbeziehung des Publikums, ohne jeglichen „personal space“ zu wahren, das ist sein Markenzeichen, und sein Auftritt kommt sehr gut an. Murmuyo braust in seinem Auto unter donnerndem Applaus vom Schlosshof. „Ich find die Atmosphäre einfach immer wieder wunderschön“, sagt Iris, die von Anfang an die Broicher Schlossnacht besucht.
Mülheimerin: „Man kommt den ganzen Abend aus dem Lachen nicht mehr raus“
Zum Ende des Abends massiert sie ihre Wangenmuskeln. „Man kommt den ganzen Abend nicht aus dem Lachen heraus“, gesteht sie und sagt was von „Muskelkater vom Lachen“. Derweil grinst sie schon wieder, weil „Die Zimmermädchen“ – adrett in Dienstkleidung und mit Häubchen versehen (auch die Männer) – emsig mit kleinen Flaschenbürsten sowohl die Bierbänke als auch darauf liegend das Kopfsteinpflaster putzen. Eine besteigt sogar betont umständlich den in vielen Grüntönen erstrahlenden Baum, um eifrig dessen Blätter zu wienern.
Die Programmwiederholungen bieten den Gästen Gelegenheit, sich im Innenhof der spätkarolingischen Ringanlage die Beine zu vertreten und dabei Aktionen von Art Obscura zu bewundern. Eine Lichtinstallation mit Stühlen verstärkt die magische Atmosphäre des Schlosses auf einzigartige Weise. Beim Orakel hält sich stets ein großes Auditorium auf, das Lebensweisheiten wie „Bleib du selbst, verbieg dich nie“ aufmerksam lauscht.
Vor allem aber hält das Mauer bewehrte Rund die Attraktion „Live Painting„ parat. Unter der Leitung der Mülheimer Künstlerin Kirsten Uecker wird den ganzen Abend in unterschiedlichen Besetzungen an einer riesigen, bereits gerahmten Leinwand gemalt. „Ich hab heut schon mehrmals gedacht, jetzt sind wir fertig, aber dann geht’s doch noch weiter“, erzählt sie lachend mit einem Topf roter Acrylfarbe und Pinsel in der Hand und fügt an: „Das ist auch gefährlich, manchmal verschwindet was unter neuer Farbe.“
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Waghalsiger Auftritt von La Campistany
Dann klappt es wirklich mit dem waghalsigen und witzig daherkommenden Auftritt von José und Julia alias „La Campistany“. Das Trapez erscheint vor dem nächtlichen Himmel noch beängstigend viel höher als zuvor noch im Hellen. Während José für musikalische Stimmung sorgt, präsentiert Júlia in schwindelerregender Höhe und oftmals ohne sich festzuhalten eine Trapezshow der besonderen Art.
Das faszinierte Publikum starrt gebannt zu, zeigt sich trotz der späten Uhrzeit als äußerst konzentriert – und verfolgt wie verzaubert den musikalisch untermalten Act „Flying Wheelchair“, der den wunderbaren Abend auf atemberaubende Weise beendet.