Mülheim. Die Sitzplätze reichen nicht mehr aus, als die Gemeinde in der Mülheimer Herz-Jesu-Kirche ihre letzte Messe abhält. So nahmen Menschen Abschied.

„Es sieht wie ein Festgottesdienst aus. Es ist aber keiner. Deshalb bin ich heute zu Ihnen gekommen, um Ihre Trauer und Ihren Schmerz mitzutragen und Sie daran zu erinnern, dass eine Gemeinde nicht aus Steinen, sondern aus Menschen besteht“, sagt Weihbischof Wilhelm Zimmermann. 400 der 14.000 Gemeindemitglieder haben sich am Samstagnachmittag mit einem Gottesdienst von ihrer 131 Jahre alten Herz-Jesu-Kirche in Broich verabschiedet. Da die Sitzplätze nicht ausreichen, müssen viele Gottesdienstbesucher stehen.

Zum Teil fließen Tränen, einigen Lektoren versagt zwischenzeitlich die Stimme. Auch Pfarrer Christian Böckmann steht die Trauer ins Gesicht geschrieben, als er nach dem Gottesdienst das Allerheiligste aus der Kirche tragen muss.

Bewegende Momente in Mülheim: „Diese Kirche war ein Stück Heimat“

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Besonders bewegend ist der Moment, als ein Pfarrgemeinderat als Stimme aus dem Off aus der Ich-Perspektive die lange und wechselvolle Beziehung zwischen Kirche und Gemeinde Revue passieren lässt.

Auch wenn die mittleren und älteren Jahrgänge beim Abschiedsgottesdienst überwiegen, sind doch auch etliche junge Gesichter zu sehen, die den Gottesdienst zum Beispiel als Messdienerinnen und Messdiener oder mit ihrer Stimme im Kirchenchor mitgestaltet haben.

Nach dem Gottesdienst äußern sich einige junge wie ältere Gemeindemitglieder traurig und auch enttäuscht über die Kirchenschließung, die sie „nur rational, aber nicht emotional nachvollziehen“ können. „Dass diese Kirche ein Stück Heimat für uns war!“, bestätigen viele von ihnen.

„So rappelvoll war die Kirche nur selten“: Schätzungsweise 400 Menschen nahmen Abschied von der Herz-Jesu-Kirche.
„So rappelvoll war die Kirche nur selten“: Schätzungsweise 400 Menschen nahmen Abschied von der Herz-Jesu-Kirche. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Kritik und Wunsch nach Veränderung

Die Argumente für die Kirchenschließung – sie stehen mit im Raum: unter anderem der Verlust von 6000 Gemeindemitgliedern in den vergangenen 18 Jahren und ein bautechnischer Investitionsbedarf von zwei Millionen Euro für die Restaurierung der Kirche. Und mancher bestätigt mit Bedauern, dass die Kirche „nur selten so rappelvoll war, wie heute.“

Doch es gibt auch Kritik und den Wunsch nach Veränderung: Den Schrumpfungsprozess, den die Kirche unter dem Eindruck ihres Missbrauchsskandals nicht nur in Mülheim erlebt, sehen viele Gemeindemitglieder als einen Aufruf: „zu einer größeren gesellschaftlichen Offenheit“ und einer „besseren Kommunikation“ der Kirche. Pfarrer, so ist zu hören, müssten sich mehr als Seelsorger, denn als Kirchenbeamte sehen. Ein priesterlicher „Dienst nach Vorschrift“ reiche nicht mehr aus.

Zudem werden „lebensnähere und niveauvollere Predigten“ gefordert. Es sei, so heißt es: „in unserer Kirche immer noch zu viel von Tod und Teufel die Rede.“ Außerdem wünschen sich Gemeindemitglieder mehr Engagement für Kinder und Jugendliche, die Verjüngung der katholischen Kirchenführung und die Abschaffung der priesterlichen Ehelosigkeit. Letzteres würde nach Ansicht einiger Gemeindemitglieder die Lebensnähe und menschliche Zugewandtheit der Priester fördern und auch sexuellen und moralischen Entgleisungen vorbeugen.

„Einige geistliche Heimat kann man nicht verordnen“, sagten manche Gemeindemitglieder zur letzten Messe. Superintendent Gerald Hillebrand hatte dennoch eine Einladung an alle ausgesprochen, an den Gottesdiensten in der evangelischen Kirche an der Wilhelminenstraße teilzunehmen.
„Einige geistliche Heimat kann man nicht verordnen“, sagten manche Gemeindemitglieder zur letzten Messe. Superintendent Gerald Hillebrand hatte dennoch eine Einladung an alle ausgesprochen, an den Gottesdiensten in der evangelischen Kirche an der Wilhelminenstraße teilzunehmen. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Ökumene eröffnet eine Perspektive für Kirchgänger

„Die Kirche besteht nicht aus Steinen, sondern aus Menschen. Wir müssen sehen, was jetzt auf uns zukommt und wie wir unser Gemeindeleben gestalten können. Eine geistliche Heimat kann man nicht verordnen. Man kann sie nur finden“, ist mit Blick auf das sich verändernde Gemeindeleben in Broich und Speldorf immer wieder zu hören.

Und einige Gemeindemitglieder wollen eher die Gottesdienste in der nahen evangelischen Kirche an der Wilhelminenstraße als in der katholischen Kirche St. Michael in Speldorf besuchen. Applaus und Zustimmung bekommt daher Superintendent Gerald Hillebrand, als er die Osterkerze der Herz-Jesu-Kirche annimmt, um sie in der benachbarten evangelischen Kirche an der Wilhelminenstraße aufzustellen. Hillebrand will die ökumenische Zusammenarbeit in Broich verstärken und regelmäßig gemeinsame Gottesdienste in der jetzt letzten Kirche Broichs feiern.

Wie zu hören ist, soll die dienstags (10-12 und 16-18 Uhr) und sonntags (10.30-11.30 Uhr) geöffnete Gemeindebibliothek an der Ulmenallee 39 erhalten bleiben. Außerdem wird am 10. März um 18 Uhr zu einem Treffen ins alte Pfarrhaus an der Ulmenallee 39 eingeladen, bei dem die künftige Gemeindearbeit besprochen werden soll.