Mülheim. Büttenreden sind nichts für junge Menschen? Julien Wolter aus Mülheim will das Gegenteil beweisen – der 21-Jährige tritt selbst ans Rednerpult.

Julien Wolter (21) ist eine Ausnahmeerscheinung. Der junge Jeck feiert nicht nur Karneval, er macht ihn auch - zum Beispiel als Büttenredner. Wie kam es dazu? „Ich bin da hineingeboren worden“, sagt Wolter. Seine Mutter Stefanie, erzählt er weiter, war früher Tanzgardisten beim Mülheimer Carnevalsclub MCC und ist heute Trainerin der Tanzgarde.

Wolter bedauert, dass seine Altersgenossen dem Karneval reserviert gegenüberstehen und meistens auch mit Büttenreden nur wenig anfangen können. „Dabei gehört die Büttenrede unbedingt zum Karneval. Karneval ist doch mehr als nur Party. Im Karneval kann man den Leuten den Spiegel vorhalten und sagen, was Sache ist, ohne dass einem jemand böse dafür ist“, sagt Julien Wolter. Seine Bühnen-Vorbilder findet er in dem 2022 verstorbenen Hans Süper vom Colonia-Duett oder im Blötschkopp, alias Marc Metzger. Er bewundere die humoristische Spitzfindigkeit, die fröhliche Unverfrorenheit und die Spontanität, mit der die Büttenredner-Profis auf Einwürfe aus dem Publikum eingehen und auch Prominente im Publikum auf die Schippe nehmen.

Mülheimer Büttenredner politisch mit einer klaren Parteipräferenz

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„Wer eine gute Büttenrede halten möchte, muss möglichst aktuell und deshalb politisch interessiert sein“, sagt das ehemalige Jugendstadtratsmitglied und angehender Verwaltungsbeamte, der sich politisch in der SPD engagiert. Regelmäßig liest er die Zeitung, informiert sich im Internet und geht mit offenen Augen durch die Welt. Den Stoff, aus dem Büttenreden sind, findet er im ganz normalen Wahnsinn des Alltags.

Spätestens Ende September beginnt er mit der Vorbereitung für seine Büttenreden, die er zwischen dem 11.11. und Aschermittwoch hält. Seinen satirischen Rohstoff sammelt er vorzugsweise im elektronischen Notizbuch seines Smartphones. Von da aus findet es seinen Weg in Wolters Notebook und dann aufs Papier. Er ist davon überzeugt, dass die Büttenrede auch bei seinen Altersgenossen eine Renaissance erleben kann, wenn man die politische Bildung, auch jenseits des klassischen Schulunterrichtes, ansprechend und lebensnah gestalten würde. Nur so könne man in Wolters Augen die Grundlage schaffen, die eine pointen- und anspielungsreiche Büttenrede erst möglich und zu einem Genuss mache.

Diesen Themen schneidet der Mülheimer lieber nicht an

Besonders gerne schießt der junge Büttenredner gegen die politischen Bauernfänger, die laut, aber oft auch geistlos und gefährlich sind. Von seinen Vorbildern Hans Süper und Marc Metzger schaut er sich ab, wie man Themen aufs Korn nimmt, satirisch zuspitzt und sie närrisch auf den Punkt bringt – ohne dabei unter die Gürtellinie zu gehen. „Das Schöne ist, dass ich als Hoppeditz in eine Rolle schlüpfe, in der ich sagen kann, was ich will und was ich für richtig halte“, betont Wolter.

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Für den jungen Mann aus der Bütt gibt es aber auch Themen, die er sich spart, weil sie, wie etwa Krieg, Krankheit und Tod, einfach nicht lustig seien. Inzwischen ist das Nachwuchstalent nicht nur in seiner eigenen Gesellschaft, sondern auch bei der befreundeten KG Mölm Boowenaan in die Bütt gestiegen und mit seinen Pointen und Spitzen beim Publikum gut angekommen. Doch er merke auch, dass es Wortbeiträge im Saalkarneval schwerer hätten als Tanz- und Musikshows.

Welche Tricks der junge Büttenredner von seinen Lehrmeistern gelernt hat

„Ich möchte meinen Zuhörern etwas mitgeben und baue auch gerne den einen oder anderen politischen Appell mit ein. Meine Büttenreden dauern in der Regel 20 bis 30 Minuten. Aber es gibt viele Menschen, denen es schwerfällt, sich auf einen längeren Wortbeitrag zu konzentrieren“, so schildert Wolter seine Erfahrungen. Deshalb redet er in der Bütt auch nicht gereimt, sondern prosaisch und pointenreich, um es seinen Zuhörern und sich leichter zu machen.

Sein erster Lehrmeister in Sachen Büttenrede war der 2021 verstorbene Präsident des Mülheimer Carnevalsclubs und Ex-Stadtprinz Klaus Groth. Bei ihm hat er gelernt, wie man sich auf der Bühne bewegen, positionieren und sprechen muss, um sein Publikum einzufangen. Groth, dem Wolter oft als Page assistiert hat, war Büttenredner, Sitzungspräsident und Mitglied eines Männerballetts.

Von ihm und vom 2020 verstorbenen Ex-Stadtprinzen Hermann-Josef Hüßelbeck hat er auch gelernt, dass Lampenfieber kein Grund ist, nicht auf die Bühne zu gehen, sondern dass es verfliegt, sobald man die ersten Lacher auf seiner Seite hat. „Klaus Groth hat mir beigebracht, mir immer einen festen Punkt im Publikum zu suchen und im Augenkontakt mit dem Publikum zu bleiben, statt nur auf das Skript zu schauen. Außerdem habe ich bei ihm gelernt, dass ich als Rechtshänder das Mikrofon in der linken Hand halten muss, damit ich mit der rechten Hand meine Rede gestenreich unterstreichen kann“, erklärt Wolter. Um seine Büttenrede gut über die Bühne zu bringen, trägt der 21-Jährige seine Rede zudem erst im Familienkreis vor, ehe er damit ins Rampenlicht des Mülheimer Saalkarnevals tritt.

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Auch wenn er sähe, dass sich viele Menschen nach der Corona-Zwangspause und vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage schwer damit täten, Karneval zu feiern, ist Wolter davon überzeugt, dass es aller Mühen wert ist, sich für den Karneval zu engagieren. Der Karneval führe Menschen aus allen Generationen und sozialen Schichten für ein paar Stunden zusammen und helfe ihnen, die Schwere des Alltags gegen die Leichtigkeit des Seins einzutauschen.

Julien Wolter glaubt, dass der Karneval die Lebensfreude und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen fördert. Wenn seine Gesellschaft den Spaß an der Freude etwa in Pflegeheimen verbreitet, erlebe er an den dankbaren Reaktionen des betagten Publikums, dass Karneval nicht nur Spaß, sondern auch Seelsorge und Sozialarbeit sein könne.

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