Mülheim. Ali Arslan ist ein spät Erblindeter. Im Interview berichtet der Mülheimer von Hindernissen im Alltag und was er sich von Mitmenschen wünscht.
Welche Hindernisse begegnen sehbehinderten Menschen im Alltag und in der Gesellschaft? Zum Tag des weißen Stocks (15. Oktober) berichtet Ali Arslan, Leiter der städtischen Hörzeitung Echo, wie er als spät erblindeter Mensch seinen Alltag in Mülheim erlebt. Der Tag des Weißen Stocks geht auf den US-Präsident Lyndon B. Johnson zurück und wird seit 1964 begangen, um die Belange blinder Menschen ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.
Was bedeutet der weiße Stock für Ihren Alltag?
Ali Arslan: Der weiße Stock ist für mich ein verlängerter Zeigefinger, der mir hilft, immer einen Schritt vorauszudenken und damit Hindernisse zu umgehen und Unfälle zu vermeiden. Das bedeutet für mich Freiheit und Mobilität.
Wo treffen Sie als blinder Mensch auf Hindernisse?
Das können Autos sein, die auf dem Gehweg parken. Das können Tische und Stühle einer Außengastronomie sein. Das können Auslagen, Kleiderständer oder Werbeträger sein, die vor Geschäften stehen. Auch Gullideckel, Pflastersteine, Straßenbahnschienen, hochstehende Bordsteinplatten oder Schlaglöcher können für mich zur Stolperfalle werden, wenn ich mit meinem Stock dort hängen bleibe. Schwierig sind auch Menschengruppen, die sich auf dem Gehweg zusammenstellen und mit dem Rücken zu mir stehen, so dass sich mich nicht kommen sehen.
Wie reagieren Menschen, mit denen Sie auf der Straße versehentlich zusammenstoßen?
Unterschiedlich. Manchmal lachen wir gemeinsam über unser Missgeschick. Manchmal werde ich aber auch angeschrien: „Sind Sie blind?“ Dann sage ich: „Ja, das bin ich, wie Sie sehen!“ Manche Autofahrer hupen auch, weil ich ihnen nicht schnell genug über die Straße gehe.
Was sollten Menschen, die Sie kennen, machen, wenn Sie Ihnen auf der Straße begegnen?
Mich einfach kurz ansprechen und antippen, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun haben und wo er oder sie steht.
Helfen Ihnen akustische Ampeln und taktile Leitlinien?
Auf jeden Fall. Solche Hilfsmittel bringen mich sicher weiter. Das gilt auch für meine Begleitpersonen oder für akustische Haltestellenansagen in Bus und Bahn und für akustische Etagen-Ansagen im Aufzug.
Thema Freizeit: Was unternehmen Sie gerne?
Als ich noch sehen konnte, habe ich gerne Stadt- und Kulturreisen gemacht. Aber seit ich aufgrund meiner Glaukom-Erkrankung blind bin, fliege ich mit meiner ebenfalls erblindeten Frau im Sommer immer an denselben Ferienort in der Türkei, weil wir dort keine Sprachbarrieren haben und uns vor Ort gut auskennen. Als Fußballfan gehe ich gerne ins Stadion. Die meisten Profi-Fußballclubs bieten inzwischen auf ihren Tribünen Blocks mit für blinde und schwer sehbehinderte Menschen reservierten Sitzplätzen an. Dort sitzen auch vereinsinterne Sportreporter, die uns mit Mikro und Kopfhörer beschreiben, was gerade auf dem Spielfeld geschieht.
Sie produzieren die Hörzeitung Echo Mülheim mit aktuellen lokalen Informationen. Wie informieren Sie sich als blinder Mensch darüber hinaus?
Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender bieten eine Auto-Diskretion an, mit deren Hilfe das Geschehen auf dem Bildschirm für blinde Menschen detailliert beschrieben wird. Mein Hauptmedium ist aber das Radio.
Können Sie auch das Internet nutzen?
Ja. Das ist heute mit einer Spracherfassung-Software, die mir Texte aus dem Internet vorliest, kein Problem mehr.
Nutzen Sie weitere Hilfsmittel, die Ihnen den Alltag erleichtern?
Ja. Eine sprechende Uhr, eine sprechende Waschmaschine, ein Daisy-Player, der wie ein CD-Player aussieht, aber für Blinde sinnvolle zusätzliche Navigationshilfen hat und ein sprechendes Farberkennungsgerät, das mir beim Ankleiden hilft, machen mir das Leben leichter. Aber nicht alle Krankenkassen bezahlen alle Hilfsmittel. Hinzu kommen Begleitpersonen oder Alltagsassistenten, die ebenfalls keine Krankenkassen bezahlt. Wenn ich für eine normale Waschmaschine 1000 Euro bezahle, muss ich bei einer sprechenden Waschmaschine für blinde Menschen mit 4500 Euro rechnen. Auch andere akustische Hilfsmittel schlagen mit mehreren 100 Euro zu Buche. Deshalb müssen blinde Menschen einen Schwerbehindertenausweis haben, der sie dazu berechtigt, ein monatliches Blindengeld zu beziehen. Dieses monatliche Blindengeld schwankt altersabhängig zwischen 300 und 600 Euro.
Gehen Sie auch mal alleine durch die Stadt?
Früher habe ich das gemacht. Aber heute mache ich das nicht mehr. Im öffentlichen Raum bin ich immer mit einer sehenden Begleitperson unterwegs, weil der Straßenverkehr in den vergangenen Jahren zu laut und zu hektisch geworden ist und weil auch die allgemeine Rücksichtnahme leider zurückgegangen ist. Als blinder Mensch kann man auch in Bus und Bahn nicht mehr damit rechnen, dass man von Fahrgästen zu einem freien Sitzplatz geführt wird.
Wie sieht es für blinde Menschen auf dem Arbeitsmarkt aus?
Meine Frau und ich sind sehr dankbar dafür, dass wir beide einen Arbeitsplatz haben, ich bei der Stadt Mülheim und meine Frau im Callcenter der Agentur für Arbeit. Aber es ist für blinde Menschen heute schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. Die besten Chancen gibt es noch in der Bürokommunikation, vorausgesetzt man hat computertechnische Fähigkeiten. Andere Arbeitsplätze, wie Telefonist, Masseur oder Klavierstimmer sind heute nur noch ganz selten zu finden. Das waren klassische Berufe für blinde Menschen. Politik und Wirtschaft sollten Ausgleichszahlungen für Arbeitgeber, die keine oder zu wenige Menschen mit Handicap einstellen, abschaffen und stattdessen alles dafür tun, dass Arbeitnehmer mit Handicap einer Erwerbsarbeit nachgehen und sich so ein selbstbestimmtes Leben finanzieren können.
Was wünschen Sie sich zum Tag des Weißen Stocks?
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der die Menschen wieder mehr Rücksicht aufeinander nehmen und bereit sind, sich gegenseitig im Alltag zu helfen, weil keiner nur für sich alleine leben kann. Nur so kann Frieden entstehen.
Ali Arslan steht blinden und sehbehinderten Menschen gerne als Ratgeber zur Seite. Er ist unter der Rufnummer: 0208-455-4288 oder per Mail an: hoerzeitung@muelheim-ruhr.de erreichbar.