Mülheim. Für ein neues Stück macht das Mülheimer Theater an der Ruhr Filmaufnahmen auf der Rennbahn. Wie die Crew mit den sensiblen Pferden umgehen muss.
Wunderbar still ist es auf der Rennbahn am Raffelberg. Auch rund um das ehemalige Kassenhäuschen darf nur geflüstert werden. Denn hier finden Dreharbeiten statt. Für einen Film, der in einer neuen Produktion des Theaters an der Ruhr eine wichtige Rolle spielt. „Anatomie eines Wortes - Ritt über den Bodensee“ lautet der Titel, es soll im September Premiere haben und verknüpft Schauspiel, Film und Märchenoper.
Im kleinen Pavillon liegt - auf Strohballen gebettet - die junge Schauspielerin Susanne Blodt. Sie spielt die sterbenskranke Prinzessin Kasimira. Die Kostümbildnerin drapiert ihr Kleid zum wiederholten Mal, die Maskenbildnerin legt den langen Zopf dekorativ über die Schulter der Königstochter. Ganz ruhig muss die junge Darstellerin liegen, mit weit aufgerissenen Augen und halb offenem Mund. Schließlich sind es ihre letzten Minuten im Kampf gegen den Tod, am Ende wird ein roter Blutfaden aus ihrem Mund rinnen.
Junge Schauspielerin muss in dieser Szene ganz still halten
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„Immer in derselben Position zu liegen und ganz still zu halten, ist nicht ganz einfach“, sagt Susanne Blodt später in einer Drehpause. Außerdem muss sie im Mund eine Kapsel mit roter Flüssigkeit aufbeißen (Schauspielblut) - die „ganz schrecklich schmeckt“. Peter Wedel, Filmregisseur und Mitarbeiter am TaR, schaut auf den Bildschirm, dann wieder auf die Prinzessin, bittet darum, dass sie sich noch etwas gekrümmter hinlegen soll. Seinen Kameramann Leo Decristoforo stört das helle Licht, das von draußen durch die Tür eindringt. Am Ende des Vormittags, nach ein paar Stunden, hat man eine etwa einminütige Szene „im Kasten“.
Das ist nicht immer so, manchmal geht es auch schneller, kommt mehr verwertbares Material in kürzerer Zeit zusammen. Peter Wedel weiß das, weil die Crew schon drei Tage lang auf der Rennbahn an verschiedenen Orten gefilmt hat - auf der Zuschauertribüne oder auf dem von Bäumen beschatteten, Vorplatz - und in leeren (!) Ställen. Oberstes Gesetz ist es nämlich, dass die hochsensiblen Rennpferde nicht gestört oder gestresst werden. Unter ihnen ist auch Torquator Tasso (das r wurde versehentlich an den Vornamen drangehängt), der zur Zeit als das sechstbeste Rennpferd der Welt gilt und 2021 den berühmten Prix de l’Arc de Triomphe gewann. Diesen Champion wollen auch alle Theaterleute mal sehen.
Mülheimer Rennbahn: Gedreht wird in den Boxen für Gastpferde
Der Rennclub sagte übrigens gleich zu, als das Theater anfragte, ob man auf der Rennbahn Filmaufnahmen machen dürfe. „Als Nachbarn hilft man sich gerne“, sagt Ann-Kathrin Schweres, für Marketing und Veranstaltungsmanagement zuständig. Außerdem habe man schon mehrfach kooperiert. Für den Nachmittag, an dem in den Boxen für Gastpferde eine Szene gedreht werden soll, besorgt sie wichtige Requisiten: Sattel, Trense, usw. „Von etwa 4.30 bis 14 Uhr ist Pferdetraining, rund 220 Pferde reiten dann übers Gelände“, erklärt sie. TaR-Dramaturg Markus Sascha Schlappig erwägt ernsthaft, einmal in aller Herrgottsfrühe vorbeizuschauen.
Der Film basiert auf einem Märchen, das Theatergründer Roberto Ciulli einst, mit 19 Jahren, geschrieben hat und das Matthias Flake, Komponist und Musiker am TaR, in eine Märchenoper verwandelt hat. Er stellte auch den Kontakt zur Folkwang-Uni her: Fünf junge Schauspiel-Absolventen wirken im Stück mit. Der Film von Peter Wedel wird das Mittelstück der dreiteiligen Produktion bilden, über die Theaterregisseurin Simone Thoma nicht allzu viel verraten will. Es wird um Menschen und Pferde gehen. Der dritte Teil fußt auf dem Handke-Stück „Der Ritt über den Bodensee“.
Mülheimer Theatergründer war ein leidenschaftlicher Reiter
Weder im Stück noch im Film wird allerdings ein echtes Ross eine Rolle übernehmen. Die Rennpferde vom Raffelberg sind ohnehin zu nervös dazu. Kurz vor der Mittagspause am Set - es wird bei schönstem Wetter open air gegessen - schaut auch Roberto Ciulli vorbei und verrät, dass er in den 70er Jahren „ein leidenschaftlicher Reiter war“. Und das ist tatsächlich kein Märchen.