Mülheim. Das RVR-Projekt, die Artenvielfalt am Mülheimer Auberg zu stärken, ist auf gutem Weg. Auf Entdeckungstour mit Landschaftsexperte Oliver König.

„Moment, sind Sie das?“ Oliver König steht auf einer Wiese am Auberg und lauscht intensiv, beide Hände sind links und rechts über die Ohrmuscheln gewölbt. „Geil“, entfährt es dem Landschaftsarchitekten des Regionalverbands Ruhr (RVR) nach Sekunden der Stille. „Sir r r r…“ – was da in Königs Lauscher säuselt, ist der Feldschwirl. „Den will ich hören“, macht sich auf seinem Gesicht ein Grinsen breit. Warum der winzige Piepmatz große Gefühle auslöst?

Nun, das ist schnell erklärt: Der Zugvogel überwintert in Westafrika oder Indien, in Deutschland kann man ihn nur von April bis September antreffen. Und auch nur dort, wo feuchte, wenig bewirtschaftete Wiesen mit vielen hohen Kräutern zu finden sind. Der Feldschwirl gilt als gefährdete Art. Dass man am Auberg sein heuschreckenartiges Zirpen hört, ist für König wie ein Ritterschlag.

Bis zu 25 Arten blühen auf Königs Wiese am Mülheimer Auberg

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Denn es bedeutet eines: Der Versuch des RVR, die Artenvielfalt auf der 60 Hektar großen und zusammenhängenden Grünlandfläche wiederherzustellen, ist zumindest auf einem guten Weg. Was sich für den lustwandelnden Laien als scheinbar sich selbst überlassene Wiese präsentiert, ist für die Wachtel, die Dorngrasmücke, das Schwarzkehlchen und den Ed-Sheeran-Schreck – die Feldlerche – ein überlebenswichtiges Refugium.

Denn heimische Pflanzen dürfen nicht nur, sie sollen sich ausbreiten: Der Klappertopf etwa, den die Bauern so abschätzig wie ehrfürchtig nur „Milchdieb“ nennen. Denn der Halbschmarotzer zapft die saftigen Wurzeln von Gras an und tankt seine Nährstoffe. Schade für die grasende Kuh.

„Den will ich hören“: Oliver König (RVR) schaut nach seltenen und bedrohten Vogelarten wie dem Feldschwirl, die das Refugium der ungestörten Wiesen auf Mülheims Auberg für sich nutzen, um zu brüten und zu jagen.
„Den will ich hören“: Oliver König (RVR) schaut nach seltenen und bedrohten Vogelarten wie dem Feldschwirl, die das Refugium der ungestörten Wiesen auf Mülheims Auberg für sich nutzen, um zu brüten und zu jagen. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Wenn die Wiese zur Apotheke wird

Doch damit gibt’s mehr Platz für Kräuter – den scharfen Hahnenfuß, den gelben Pippau, die pinke Kuckuckslichtnelke und lila Glockenblume. 25 Arten blühen auf des Königs Grün – „eine Apothekerwiese voller Vitamine und Spurenelemente“ nennt es der Landschaftsarchitekt. Wenn sie denn gemäht und als Heu dem lieben Vieh zum Verfuttern dient. Solange aber ,isst’ das Auge sprichwörtlich mit, angesichts dieser satten Woge aus Grün, Gelb, Blau und Pink, die fast bis an den Weg anrauscht.

Um den 15. Juni rücken die Mäher am Auberg zum ersten Mal an, erklärt König. So lange sind die Weiden eine Heimat bewusst auch für Insekten. Dabei bleiben stets breite Säume stehen, in die sich diese zurückziehen können. Das gehört seit etwa vier Jahren zum Plan des RVR-Landschaftsarchitekten, die Artenvielfalt zu stärken und zu erhalten, die zuvor über viele Jahre der Bewirtschaftung keine Rolle spielte.

Neues Pflege-Personal beim RVR: Schottische Hochlandrinder

Für den Landwirt Ralf Nowak hat sich seitdem auch manches verändert. 2017 sattelte er um auf schottische Hochlandrinder. Die robusten, zotteligen Damen mit den Ehrfurcht gebietenden Hörnern ,mähen’ die rund 1,5 Hektar große Magerweide an der Voßbeckstraße, zwischen zahlreichen alten Obstsorten wie der Roten Sternrenette, friedlich, traben aber durchaus neugierig heran, wenn man diese betritt. „Man sollte vielleicht kein Rot tragen“, empfiehlt Nowak mit vielsagendem Lächeln.

Natürliche Landschaftspfleger: Die schottischen Hochlandrinder von Landwirt Ralf Nowak (li.) dienen als „Rasenmäher“ auf der Obstwiese.  Oliver König (RVR) ist zufrieden mit dem Ergebnis.
Natürliche Landschaftspfleger: Die schottischen Hochlandrinder von Landwirt Ralf Nowak (li.) dienen als „Rasenmäher“ auf der Obstwiese. Oliver König (RVR) ist zufrieden mit dem Ergebnis. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

365 Tage im Jahr können die tierischen Rasenmäher sich draußen laben und dienen auch vornehmlich der natürlichen Landschaftspflege an verschiedenen Weiden, betont Nowak. Nicht etwa, um selbst verspeist zu werden. Das ist vom Landwirt anfangs mit viel Idealismus begonnen worden, denn „es war richtig schwer, einen Klauenpfleger zu finden, der die Hörner pflegen kann“. Zudem machte die Trockenheit in den vergangenen Jahren der Wiese zu schaffen.

Ansonsten aber habe sich die Fläche „gut entwickelt“, man könne zusätzlich Ziegen auf der Fläche halten, überlegt RVR-Mann Oliver König. Die würden auch der ausufernden Brombeerhecke auf natürliche Weise Herr werden.

Leinenzwang, um Arten zu schützen: Uneinsichtige Hundehalter reißen Schilder ab

Und doch: Nicht alles ist am Auberg so rosig wie auf der Rinderweide. 15 Hinweisschilder hat Oliver König erst kürzlich an verschiedenen Stellen angebracht. Sie sollten darauf hinweisen, dass Hunde außerhalb der eigens eingerichteten Freilaufwiese an der Leine geführt werden sollen – auch das geschieht zur Sicherheit von Vögeln und anderen Tieren im Landschafts- und Naturschutzgebiet.

Das sind ganz liebe Damen: Ralf Nowak kann ganz nah an seine schottischen Hochlandrinder gehen. Rot sollte man aber nicht tragen, empfiehlt der Landwirt.
Das sind ganz liebe Damen: Ralf Nowak kann ganz nah an seine schottischen Hochlandrinder gehen. Rot sollte man aber nicht tragen, empfiehlt der Landwirt. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Doch Unbekannte haben nicht nur sämtliche Schilder abgerissen, sondern auch ihren Fiffi demonstrativ vor dem Spender für Hundekotbeutel sein Geschäft machen lassen. „Das ärgert mich“, meint König, „denn das Abreißen kostet eben auch öffentliches Geld.“

Landwirt Nowak hat wenig Verständnis für das Verhalten: „Natürlich gehen viele Leute dorthin, wo es schön ist. Damit es so bleibt, hält sich die Mehrheit an die Regeln. Die wenigen schwarzen Schafe aber versauen es.“