Mülheim. Vier Monate nach dem Börsengang wird die Umstrukturierung von Siemens Energy konkreter. Der Vorstand kündigt an, 7800 Jobs streichen zu wollen.
Nach der Aufsichtsratssitzung am Montag hat der Vorstand von Siemens Energy am Dienstag wie erwartet seine Pläne zur Umstrukturierung des vor vier Monaten in Eigenständigkeit entlassenen Unternehmens verkündet. 7800 Stellen sollen weltweit gestrichen werden, 3000 davon in Deutschland. Wie viele es davon in Mülheim sein sollen, ist noch unklar. Die Befürchtungen indes sind groß.
Wie das Unternehmen am Dienstagmorgen mitteilte, hat sein Vorstand den Arbeitnehmervertretern Details zu den "Plänen einer Kostensenkung" mitgeteilt. Bereits im September 2020 hatte Siemens Energy noch vor dem Börsengang angekündigt, die Kosten im Segment "Gas and Power" um mindestens weitere 300 Millionen Euro senken zu wollen. Am Werksstandort Mülheim, dem größten von Siemens in Nordrhein-Westfalen, hatte das erneut Sorgen um Arbeitsplätze und die Zukunft des Standortes ausgelöst.
Siemens Energy nimmt Abstand von Kohlekraftwerks-Projekten
Siemens Energy wolle mit neuen Maßnahmen seine Wettbewerbsfähigkeit deutlich steigern, heißt es. Das Portfolio soll nach den Kriterien Profitabilität und Zukunftsfähigkeit optimiert, "Fehlleistungskosten" bei Großprojekten gesenkt und die Beschaffungskosten deutlich reduziert werden. Siemens Energy will so bis 2023 eine Gewinnmarge (EBITA vor Sondereffekten) von 6,5 bis 8,5 Prozent erreichen.
Neben Einsparungen etwa bei externen Dienstleistern und im Einkauf oder eine optimierte Logistik will Siemens Energy sein Angebots-Portfolio auf Zukunftsmärkte zuschneiden. Bereits beschlossen ist etwa, dass es keine Beteiligung mehr an der Ausschreibung neuer, ausschließlich mit Kohle befeuerter Kraftwerke geben wird. Das trifft den Standort Mülheim mit seiner Fertigung von großen Generatoren und Dampfturbinen für das Geschäft mit konventioneller Kraftwerkstechnik.
Restrukturierung soll am Ende des Geschäftsjahres 2025 abgeschlossen sein
Weltweit will Siemens Energy rund 7800 Arbeitsplätze abbauen – "davon rund drei Viertel in Management, Verwaltung und Vertrieb", wie es heißt. Rund 3000 Stellen sollen in Deutschland wegfallen, wobei es zu keinen Standortschließungen kommen soll. Rund 1700 Jobs in den USA stehen auf der Streichliste, 3100 an sonstigen Standorten.
Die Restrukturierung soll zum Ende des Geschäftsjahres 2025 abgeschlossen sein, ein Großteil soll aber bereits bis zum Ende des Geschäftsjahres 2023 geschafft sein. Der SE-Vorstand kündigte am Dienstag an, in Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern zeitnah eine Einigung über den geplanten Arbeitsplatzabbau erzielen zu wollen. Die konkreten Pläne für den Standort Mülheim blieben zunächst unklar.
Der Betriebsratsvorsitzende des Standortes, Jens Rotthäuser, äußerte am Dienstag im Gespräch mit dieser Redaktion seine Befürchtung, dass Mülheim "mit mehr als nur einem blauen Auge" aus der Restrukturierung herausgehen könnte. In einer Schalte am Dienstagmorgen habe der Geschäftsführer der Division "Power Generation", Karim Amin, zwar keine Details zu einzelnen Standorten preisgegeben, doch klargestellt, dass die SE-Standorte in Mülheim, Görlitz und Berlin von dem Kohleausstieg am stärksten betroffen seien. Das lässt wenig Gutes hoffen.
Siemens-Betriebsrat erinnert an Versprechen der Vergangenheit
Seit dem späten Dienstagvormittag tagt der Wirtschaftsausschuss von Siemens Energy. Bis in den späten Abend hinein sollen hier dem Vernehmen nach Details zu den Planungen an jedem einzelnen Standort in Deutschland offengelegt werden. Für Mittwochmorgen stehen offizielle Verlautbarungen des Unternehmens im Raum. Am Standort Mülheim ist der komplette Mittwoch mit Terminen für eine Mitarbeiter-Information belegt - für Mitarbeiter aus der Fertigung in Kleingruppen vor Ort, für andere per Videoschalte.
Mit einer Wertung der bisher veröffentlichen Rahmendaten tut sich Betriebsratschef Rotthäuser noch schwer. Aus seiner Sicht hat der Konzern aber noch Versprechen aus den letzten Verhandlungen für einen Interessenausgleich und Sozialplan einzulösen. Insbesondere hoffe er darauf, dass der Konzern dem Mülheimer Standort mit seinen 4300 Mitarbeitern den Raum gebe, sich zu einem Kompetenzzentrum für die Entwicklung und Fertigung von Energiewende-Technologien zu entwickeln; mit neuen Produktionseinheiten. Die Belegschaft sei bereit, dafür "alles in die Waagschale zu werfen", so Rotthäuser.
Als eine Option für die Stabilisierung des Standortes gilt weiterhin auch eine Rückholaktion der Generatoren-Fertigung, die seinerzeit nach Charlotte (USA) verlagert worden war. Dafür hatte auch NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart geworben. Man sei bereit, alle Möglichkeiten mit der Arbeitgeberseite zu durchleuchten zum Wohle des Standortes, so Rotthäuser. "Auch unkonventionelle."
SE-Vorstand: „Der Energiemarkt verändert sich rasant und stellt uns vor große Herausforderungen“
„Der Energiemarkt verändert sich rasant. Das bietet uns Chancen, stellt uns aber gleichzeitig vor große Herausforderungen“, sagte derweil Christian Bruch, Vorstandsvorsitzender der Siemens Energy AG. „Mit dem nun vorgestellten Programm werden wir unsere Wettbewerbsfähigkeit steigern, um mit finanzieller Stärke die Energiewelt von morgen aktiv mitgestalten zu können. Wir sind uns bewusst, dass unsere Pläne Teilen der Belegschaft viel abverlangen. Daher ist es unser Ziel, diese Maßnahmen so sozialverträglich wie möglich durchzuführen.“
Die einmaligen Aufwendungen für die vorgestellten Maßnahmen belaufen sich laut Vorstand auf einen mittleren bis hohen dreistelligen Millionen-Euro-Betrag für die Geschäftsjahre 2020 bis 2023. Sie bewegten sich damit im Rahmen der bereits kommunizierten Erwartung, hieß es. Der Ausblick für das aktuell laufende Geschäftsjahr 2021 bleibe unverändert.