Mülheim. Seit März können Mülheimer die E-Scooter als Alternative zum Auto, Bus oder Fahrrad nutzen. Wie gut schneiden die rollende Trittbretter ab?
Als Junge gab es für mich nur ein ideales Fortbewegungsmittel für den motorisierten Individualverkehr: Raketenstiefel. Logisch. 40 Jahre später hat die menschliche Zivilisation es bis zum E-Scooter geschafft. Ob der Kurzstreckenroller als „Übergangstechnologie“ für das mobile Mülheim allerdings tauglich ist?
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Mieten ist einfach – mit Online-Zugang und Paypal
Dazu später, denn Fahren heißt zunächst einmal „finden“. 76 Abholstationen sind über die Stadt verteilt. Wie wörtlich das zu verstehen ist, wird sich am Ende noch zeigen. Doch zunächst soll’s verhindern, dass man die fahrenden Trittbretter einfach dort liegen lässt, wo man absteigen will. So war es in der Vergangenheit schon.
An der Düsseldorfer Straße zum Dorf Saarn, wo auch Metropolfahrräder stehen, tummeln sich etliche. Allerdings auch kreuz und quer über den Gehweg.
Die Rabatt-Schlacht unter den Anbieter hat schon begonnen
In Sachen Bedienung zeigt sich der Scooter überraschend zugänglich. Vorausgesetzt, man hat eine Online-Verbindung und ist bereit, über eine Anbieter-App online mit Kreditkarte oder Paypal bezahlen zu wollen, dauert das kaum länger als man fürs Tippen des eigenen Passwortes braucht. Der Berliner Anbieter „Tier Mobility“ will lediglich meinen Vornamen und eine E-Mail für die Abrechnung wissen. Über Paypal verifiziere ich mich anschließend als realexistierender und – besser noch – zahlender Nutzer.
Und dann tickt auch schon die Uhr: Einen Euro macht die Startgebühr plus 19 Cent für die Minute. Das verleitet zum Gasgeben, aber nicht zur gemütlichen Spritztour. Der Preiskampf unter den fünf Mülheimer Anbietern hat allerdings schon begonnen: Eine Werbung von Spin baumelt am nächsten Scooter mit Sonderrabatten von 50 Prozent.
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Ein Anbieter verspricht klimaneutrales Fahren
Doch das robuste Erscheinungsbild des „Tier-Scooters“ hat für mich mit den Ausschlag gegeben, mehr aber noch der Hinweis auf dem Lenker: „Du fährst klimaneutral.“ Der Anbieter gibt an, alle vor- und nachgelagerten Emissionen in seinen Berechnungen berücksichtigt zu haben, die zum Klimawandel beitragen, und etwa verbleibende Emissionen zu kompensieren (siehe Info-Kasten). Dass dies seinen Preis hat, leuchtet ein.
Schnell noch den Helm auf – nicht verpflichtend übrigens, aber besser ist das. Kurzer Check: Zwei Bremsen hat der Scooter und Licht, so sind die Vorschriften. Klingel sehe ich nirgendwo. Die kurze Einweisung läuft über die App – weggewischt. Ich will los und drück den „Go“-Hebel bis zum Anschlag.
Mööp. Da tut sich nichts. Ich muss schon mein zweites Bein anheben und das volle Gewicht auf den Scooter bringen, bevor der anzieht. Und das geht schnell los, aber nicht hastig. Rund 20 Stundenkilometer darf der Scooter auf dem Digitaltacho anzeigen.
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Gutes Fahrgefühl auf Radwegen, keine Pufferzone auf der Straße
Es geht direkt auf den Radweg an der Straßburger Straße in Richtung Innenstadt. Kann der Flitzer mit dem Nahverkehr mithalten? Vom Tempo und auch preislich? Denn für die Mikromobilität ist das Zweirad ja schließlich gedacht.
Das Fahrgefühl ist gut. Der Tier-Scooter ist zwar keine Sänfte, aber ein robuster Alltagsroller, der mit seinem Gewicht und kleinen breiten Rädern verlässliche Stabilität bietet. Die ist wichtig, weil man überall dort, wo kein Radweg ist, auf die Straße muss. Der Fußweg ist verboten. Und dort, zwischen SUV und parkenden Autos, hat man keine Pufferzone...
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Auf dem Radweg entlang des Kassenbergs schnurrt der Scooter aber launig. Kleine Hürden wie flache Bordsteinkanten und unebene Wege sind kein Problem. Auch den Stresstest hoch auf den Heuweg und Saarnberg besteht er mit satten 15 Km/h und immerhin fünf an der steilsten Stelle. Schneller gehe ich hier auch nicht.
Runter geht’s hingegen immer, wenn auch nicht viel schneller: Bei 22 spüre ich, wie der Scooter abbremst – das finde ich angesichts der fehlenden Pufferzone sinnvoll. Und nach gut 20 Minuten zeigt sich beim modernen Trittbrettfahrer, wo der Corona-Speck sitzt: In Po und Oberschenkel zwickt’s, weil ich beim Fahren besser nicht die Knie durchdrücke, um Ruckler ausgleichen zu können.
Ökologischer als das Auto, teurer als der Bus
Ärger bei der Abgabe
So einfach das Mieten des E-Scooters ist, so kompliziert scheint noch die Abgabe: Die App verbietet es mir, das rollende Trittbrett dort abzugeben, wo ich es abgeholt habe. Und wo auch die Stadt eine so genannten Abholpunkt festgelegt hat.
Offenbar ist die App hier nicht auf dem neusten Stand und zeigt für Saarn keinen einzigen Abgabeort an, obwohl die Stadt vier allein im Dorf eingerichtet hat. Ärgerlich, denn der nächste Punkt ist an der Stadthalle. Von da aus geht’s zu Fuß zurück.
Mehr zum Versprechen der Klimaneutralität des Anbieters: www.tier.app/de/sustainability/
Für langes Cruisen oder den Einkauf scheint der Scooter weniger geeignet, aber ist der Konkurrent auf dem Radweg sinnvoll für kurze Strecken etwa zwischen Wohnung, Bus und Arbeitsplatz? Forscher wollen ermittelt haben, dass die Ökobilanz der Scooter, trotz kurzer Lebenszeit von etwa 18 Monaten, zumindest die des Autos sticht. Fahrrad, zu Fuß oder mit dem Bus unterwegs zu sein, ist hingegen umweltfreundlicher, selbst wenn der Scooter dort, wo er fährt, kein CO2 ausstößt.
Doch seine Bilanz hängt weniger am Aufladen als an Herstellung und Transport, also daran, ob Anbieter wie Tier in diesen Bereichen eine Klimaneutralität tatsächlich erfüllen. Ob die Kosten den Scooter dann noch attraktiv machen? 10,12 Euro hat meine etwa 40-minütige Testtour gekostet. Eine Fahrt etwa von Saarn zum Bahnhof wäre wohl in unter fünfzehn Minuten geschafft, macht dann zwischen 3 und 3,85 Euro. Das Busticket kostet nur 2,80 Euro. Raketenstiefel dagegen? Unbezahlbar.