Mülheim. Die ersten Corona-Schnelltests sind in Mülheimer Pflegeheimen angekommen. Leben die alten Menschen jetzt sicherer? Ein Lagebericht.
Die Corona-Infektionszahlen sind besorgniserregend, doch Besuchsverbote in den Seniorenheimen sollen vermieden werden. Viele haben den Frühling, die geschlossenen Türen, noch in miserabler Erinnerung. Große Hoffnungen werden auf Antigen-Schnelltests gesetzt. Seit dieser Woche sollen sie in Altenheimen und bei ambulanten Pflegediensten durchgeführt werden.
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Die entsprechende Verordnung wurde Mitte Oktober veröffentlicht, doch bislang waren viele praktische Fragen ungeklärt: Gibt es genügend Tests? Wo bekommt man sie? Wer führt sie in den Häusern durch? Die Stadt Mülheim hatte vor rund einem Monat die Hoffnung geäußert, dass sich das Land zentral um die Beschaffung kümmert.
Stadt Mülheim: Bislang genügend Tests vorhanden
Nun läuft es anders: Die Heime und Pflegedienste sind dafür selbst verantwortlich. Antigen-Schnelltests gibt es in Apotheken, im Medizinhandel oder über die Berufsverbände. „Bisher sind die Tests in ausreichender Anzahl vorhanden“, erklärt die Stadt auf Anfrage.
Regelungen rund um die Tests
Laut Coronavirus-Testverordnung des Landes NRW sind Altenheime und ambulante Pflegedienste seit 9. November verpflichtet, PoC-Antigen-Tests anzuwenden.
Bewohner, Beschäftigte und Besucher werden regelmäßig getestet, auch ohne Symptome. Jedes Heim bekommt eine Kostenerstattung für maximal 20 Tests pro Bewohner und Monat. Sieben Euro pro Stück werden über den Corona-Rettungsschirm refinanziert.
Außerdem muss jede Einrichtung und jeder Pflegedienst dem Gesundheitsamt ein Testkonzept zur Genehmigung vorlegen.
Nur Personen mit grundlegenden pflegerischen oder medizinischen Kenntnissen dürfen die Schnelltests durchführen. Vorher müssen sie durch einen Arzt oder einen Mitarbeiter des Gesundheitsamtes geschult werden. Diese Schulungen können auch in digitaler Form erfolgen.
In der Alloheim-Seniorenresidenz im Stadtquartier Schloßstraße sind die ersten Kartons angekommen, insgesamt rund 300 Tests. Die Lieferung wurde über den Pflegekonzern Alloheim, der deutschlandweit mehr als 220 Heime betreibt, zentral organisiert. Dort erstellte man auch ein Testkonzept. Laut Einrichtungsleiterin Melanie Ulrich wurde es gerade dem Mülheimer Gesundheitsamt geschickt. Ein Hausarzt, mit dem sie kooperieren, könne die Schulung durchführen. „Hoffentlich klappt es in den nächsten Tagen.“
Seniorenheim: Vorrangig Angehörige testen, die täglich zu Besuch kommen
Alle 80 Bewohner, alle 66 Mitarbeiter sollen möglichst jede Woche getestet werden. Dazu die Besucher: „Vorrangig die Angehörigen, die täglich hier sind“, erläutert Melanie Ulrich. An drei Tagen pro Woche will sie die Tests für Gäste anbieten, nicht täglich, „sonst kommen wir nicht mehr hinterher“. Denn es ist ein zeitraubendes Verfahren - mit insgesamt 20 Minuten pro Person rechnet die Einrichtungsleiterin. Spätestens 15 Minuten nach dem Rachenabstrich zeigt der Teststreifen das Ergebnis.
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Die Seniorenresidenz reserviert jetzt ein Besprechungszimmer für die Tests, die eine Pflegefachkraft in voller Schutzmontur durchführt. Räumlich ist das kein Problem, personell schon eher. Vorrangig sollen der Pflegedienstleiter und die Qualitätsbeauftragte diese Aufgabe übernehmen, zusätzlich aber auch alle drei Wohnbereichsleitungen und weitere Mitarbeiter geschult werden.
„Die zweite Corona-Welle schaffen wir auch“
Melanie Ulrich schätzt, dass künftig eine Arbeitskraft allein für die Schnelltests abgestellt werden muss. Das wäre noch zu schultern. Vermutlich wird es deutlich enger. Die Mülheimer Heimaufsicht etwa verweist auf Berechnungen der Berufsverbände, wonach „bei ordnungsgemäßer Durchführung der Tests bis zu 4,0 Vollzeitkräfte mehr benötigt würden“.
Die Leiterin der Senioren-Residenz im Schloßstraßen-Quartier sieht aber auch die Vorteile der handlichen Schnelltests: „Wenn jetzt zum Beispiel jemand aus dem Team Schnupfen hat, sind wir auf der sicheren Seite. Die erste Corona-Welle haben wir gut überstanden. Ohne alles. Die Zweite schaffen wir auch.“
Katholische Seniorenstifte testen zunächst nur bei Symptomen
Bei der katholischen Contilia, die in Mülheim vier Seniorenstifte betreibt, werden die Schnelltests ebenfalls zentral über die Unternehmensgruppe bestellt und verteilt. Die Schulungen des Pflegepersonals übernehmen Ärztinnen und Ärzte. Die nötigen personelle Ressourcen seien vorhanden, erklärt die Geschäftsführung auf Anfrage.
Allerdings wird in den Contilia-Häusern eher zurückhaltend getestet: Die Testkonzepte seien mit dem Gesundheitsamt abgestimmt, heißt es dort. „Sie sehen primär eine Testung von symptomatischen Bewohnern und Mitarbeitenden vor.“ Symptomfreie Personen würden nur getestet, um bei Corona-Fällen im Haus eine Verbreitung zu verhindern.
Online-Shop für Schnelltests geschlossen, Gesundheitsamt völlig überfordert,
Auch die ambulanten Pflegedienste müssen jetzt Antigen-Schnelltests einsetzen – wenn sie denn welche haben. Bei ASK 24 in Speldorf etwa wartet man immer noch auf Material. Eigentlich hätten die Tests schon in der ersten Novemberwoche geliefert werden sollen, berichtet Pflegedienstleiter Maik Rieth. Nächste Woche soll es aber losgehen, zunächst mit 400 Stück. Rund 20 Mitarbeiter hat ASK 24 und 110 bis 120 Kunden. Sie alle sollen im Zwei-Wochen-Takt getestet werden. Die erste Lieferung würde damit für kaum mehr als einen Monat reichen.
Bestellt haben sie die Tests über den Berufsverband bpa – „zum Glück haben wir noch welche bekommen“, so Maik Rieth, denn wenig später sei der Online-Shop geschlossen worden. „Mein Eindruck: Die Infrastruktur ist total zusammengebrochen.“ Nächste Herausforderung: Schulungen für die Mitarbeiter. Beim Gesundheitsamt brauche man momentan gar nicht zu fragen, meint der Pflegedienstleiter, „die sind verständlicherweise völlig überfordert“. Statt dessen werde nun ein niedergelassener Arzt kommen und das Team schulen.
Unter den alten Menschen, die der Pflegedienst täglich betreut, habe es bislang zwar Quarantänefälle gegeben, aber noch keine Infektionen. Rieth ist erleichtert darüber, die Senioren seien äußerst vorsichtig, zahlen dafür aber auch einen hohen Preis. „Viele vereinsamen leider. Das ist die dunkle Seite.“