Mülheim. Wie stark der seelische Hunger nach Kultur ist, zeigt der Freitag in der profanierten Christuskirche in Mülheim. Warum es am Ende duster wird:

Und plötzlich ist es stockduster im imposanten Kirchenraum am Saarner Lindenhof. Der Dieselstromgenerator sagt Tschüss. Buchhändlerin Brigitta Lange schreitet geistesgegenwärtig mit fahlem Laternenschein durch den Saal bis zur Bühne, wo früher einmal der Altar stand. Und nun Schauspielerin Katja Heinrich und Cellist Florian Hoheisel überrascht ein Lachen unterdrücken müssen. Die Lange leuchtet den Künstlern heim, das Publikum kichert mit. Begeisterter Applaus.

Wie stark der seelische Hunger nach Kultur ist, hat der Freitagabend in der profanierten Christuskirche – von den Saarner Buchhändlerinnen Hilberath und Lange zum „Kulturpalast“ erhoben – deutlich gemacht. „Noch ein letztes Mal Kultur vor dem Lockdown“, schienen die rund 100 Masken vor der Bühne sagen zu wollen.

Zwischen Berliner Schnauze und lässigen „Saitenkommentaren“

Die Masken aber mussten während der Lesung mit „Wein, Weib und Cello“ Nasen und Münder bekleiden. Und freilich blieb auch der Korken auf dem versprochenen Traubensaft. Für Schauspielerin Heinrich eine ungewohnte Szene: „Normalerweise kann ich die Reaktionen im Publikum sehen“, muss die Wahlessenerin aus Neustrelitz diesmal mit Augenblicken vorlieb nehmen. Denn es sind „seltsame Zeiten“, merkt auch Lange an.

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Die beide Künstler jedoch charmant meistern. Sie: mit virtuoser Stimme – mal säuselnd, mal mit hintergründiger Ironie und mal mit koketter Berliner Schnauze. Er: mit Witz und lässigen „Saitenkommentaren“ auf dem Instrument.

Geile Männer und verliebte Nasenlöcher

Denn schließlich geht es um „geile Männer“, frivoles Weibsvolk, über Liebe, die mal müde macht und mal die Frisur ruiniert. „Frauenfeindlich?“, wirft Heinrich in die Runde. Zumindest nicht so, wie Heinrich aus dem Bänkelbuch mit Versen aus den 1930er und 40er Jahren vorträgt. Hier reimen Kerr und Kästner, hier betet Tucholsky die „verliebten Nasenlöcher“ seiner „berliner Venus“ an, hier bekennt sich eine „Chansonette“ und frotzeln Dichter über prahlende Männer, die offenbar ihre „Köpfe nur zum Hüte tragen“ haben.

Wenn auch das breite Grinsen auf den hundert Gesichtern im Saal nicht zu sehen ist, das amüsierte Kichern hört man immer öfter im Saal. Und auch den Applaus – wozu hat man sonst die Hände, die in den kommenden vier Wochen wohl kein Künstlerbrot mehr spenden werden?

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Als dann der Generator das Licht in der Kirche killt, bleibt das Publikum beharrlich sitzen, hebt das nur den Abend stärker ins Gedächtnis: Noch eine Geschichte mit Heinrichs schmeichelnder Stimme, noch einmal Hoheisels geistreiches Spiel, noch eine Zugabe. Schließlich wird jeder im Saal noch eine Weile davon zehren müssen, dem letzten Kulturabend vor dem Lockdown-November.