Mülheim. Putsch beim Mülheimer Bündnis für Bildung? Zwei Listenkandidaten sind im Vorstand der Grauen Wölfe, zwei Mitglieder verlassen die Fraktion.
Eine politisch bunte Mischung war das Mülheimer „Bündnis für Bildung“ schon immer, nun wurde es noch einmal durcheinandergewirbelt. Denn Hasan Tuncer, der bei der vergangenen Kommunalwahl für das Bündnis in den Stadtrat eingezogen war, verlässt es nun ebenso wie Lutz Zimmermann, der erst vergangenes Jahr zum Fraktionschef ernannt wurde. Die Ratsliste für die Kommunalwahl hingegen führt nun Ferit Sentürk an, aktuell Mitglied des Integrationsrates – und in Mülheim Vorstandsmitglied der Grauen Wölfe. Nicht nur deshalb hat sich das Bündnis überworfen.
Die Grauen Wölfe sind türkische Rechtsradikale, in Deutschland gelten sie als größte rechtsextreme Organisation. Der NRW-Verfassungsschutz sagt, sie trage zur Entstehung einer Parallelgesellschaft bei. Rechtsradikal? In Mülheim nicht, sagt Ferit Sentürk. „Hier sind die Grauen Wölfe gar nicht politisch aktiv.“ Man treffe sich nur zum Teetrinken.
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Mülheimer Bündnis für Bildung: Zwei Graue Wölfe auf der Ratsliste
Einen Konflikt mit der Arbeit für das Bündnis für Bildung sieht er ebensowenig: „Ich mache keine Türkei-Politik.“ Neben Sentürk ist auch Abdullah Tigli, fürs Bündnis auf Listenplatz 5 gesetzt, Vorstandsmitglied der Grauen Wölfe. „Post Aktuel“, eine Zeitung für in Deutschland lebende Türken, vermeldete im Oktober 2019 seine und Sentürks Wahl in den Mülheimer Vorstand.
Für Lutz Zimmermann sei diese Mitgliedschaft der beiden, von der er erst vor kurzem erfahren habe, „ein Tiefschlag“ gewesen. Er habe deshalb seinen Aufnahmeantrag beim Bündnis für Bildung zurückgezogen, teilt er auf seinem Blog mit. Doch er und Hasan Tuncer kritisieren nicht nur den möglichen Einfluss der Grauen Wölfe und der Moscheegemeinden. Sie werfen Ferit Sentürk vor, Unterlagen gefälscht zu haben, die das Bündnis beim Rats- und Rechtsamt für die Kommunalwahl vorgelegt hat.
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Mitglieder, die nie durch den Vorstand bestätigt wurden
Hasan Tuncer hat seine Bedenken Wahlleiter Dirk Klever und seiner Stellvertreterin Annette Altenbach schriftlich dargelegt. Es geht ihm vor allem um die Wahlversammlung für die Kommunalwahl vom 29. Juni. Tuncer wird zum Beginn der Versammlung zum Versammlungsleiter gewählt. Er habe anhand der ihm bekannten Listen versucht, die Stimmberechtigung der einzelnen Personen als Mitglieder festzustellen. „Mir ist schnell aufgefallen, dass auch Personen anwesend waren, deren Mitgliedschaft nie durch den Vorstand bestätigt wurde.“
Noch Anfang 2020 habe das Bündnis laut Ferit Sentürk 16 Mitglieder gehabt; nur diese 16 seien auch zu einer Mitgliederversammlung am 28. Mai eingeladen worden. Zu einer Wahlversammlung am 3. Juni seien 20 Mitglieder gekommen, „viele neue Gesichter“, wie Tuncer sagt. Sentürk ließ diese Versammlung später annullieren, weil er nicht alle Mitglieder eingeladen hatte.
Tuncer: „Ich kann nicht zusehen, wie das Bündnis gekapert wird“
Knapp vier Wochen später, bei der Wahlversammlung am 29. Juni, seien es dann plötzlich 57 Mitglieder gewesen, sagt Tuncer. Wo kommen die alle her? Er, seit Ende Mai Vorstandsmitglied des Wählerbündnisses, habe ihre Mitgliedsanträge nicht gesehen, nicht geprüft, nicht abgesegnet. Er sagt: „Ich kann nicht zusehen, wie das Bündnis gekapert wird.“
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Als er sich auf der Wahlversammlung weigert, die Mitglieder so anzuerkennen, fordert Andreas Marquardt, aktuell Ratsmitglied, per Misstrauensvotum, eine andere Versammlungsleitung zu wählen. Birgit Felderhoff, ebenfalls Ratsmitglied und auf Listenplatz 3 gesetzt, übernimmt und verzichtet, so Tuncer, auf die Prüfung der stimmberechtigten Mitglieder.
Mülheimer Rats- und Rechtsamt: „Das ist eine interne Streitigkeit“
Die Ratsliste sei dann bei der Wahlversammlung von Mitgliedern gewählt worden, die Tuncers und Zimmermanns Meinung nach gar keine Mitglieder sein können. Tuncer ficht die Wahl beim Rats- und Rechtsamt an. Dirk Klever sieht allerdings keine wahlrechtlichen Einwände. „Das ist eine interne Streitigkeit.“ Ferit Sentürk habe alle Protokolle vorgelegt, das Amt habe sie geprüft, habe sich mit dem Landeswahlleiter beraten. Von Sentürk liege eine eidesstattliche Versicherung vor, dass die Unterlagen korrekt sind. Tuncer widerspricht: „Es gab keine Sitzungen, es kann keine Protokolle geben.“
Wechsel im Bündnis
Für das Bündnis für Bildung stehen folgende Personen auf der Ratsliste für die Kommunalwahl: Listenplatz 1: Ferit Sentürk, Listenplatz 2: Emin Arslan, Listenplatz 3: Birgit Felderhoff, Listenplatz 4: Aybaniz Gurbanova, Listenplatz 5: Abdullah Tigli, Listenplatz 6: Orhan Kahraman, Listenplatz 7: Stefan Kolb und Listenplatz 8: Robert Streckbein.
Ferit Sentürk ist derzeit Mitglied des Integrationsrates, er betreibt ein Foto-Geschäft an der Löhstraße. Emin Arslan ist der Ehemann der Integrationsratsvorsitzenden Emine Arslan. Birgit Felderhoff zog 2014 für Die Linke in den Rat, ebenso wie Andreas Marquardt, der für die Bezirksvertretung 2 kandidiert.
Hasan Tuncer, der 2014 für das Bündnis für Bildung in den Stadtrat eingezogen war, hatte sich vergangenes Jahr im Frühsommer mit Felderhoff, Marquardt und Lutz Zimmermann zum Bündnis für Mülheim zusammengeschlossen. Im Oktober 2019 kam dann die Umbenennung zurück zum Bündnis für Bildung. Tuncer gab aus Zeitgründen den Fraktionsvorsitz an Zimmermann ab.
„Da steht Aussage gegen Aussage“, sagt Wahlleiter Dirk Klever. „Herr Tuncer kann dagegen klagen.“ Und Ferit Sentürk betont: „Hätten wir gegen das Gesetz verstoßen, wäre ich zurückgetreten. Aber es wurde alles überprüft.“
Ob Tuncer klagen wird, weiß er noch nicht. Austreten aus dem Bündnis will er auf jeden Fall, aber jetzt noch nicht. „Ich will erst mal alles wissen.“ Er fürchtet, dass sich Sentürk hat einnehmen lassen von den Moscheegemeinden, dass nun „der lange Arm Erdogans“ in den Rat einziehen könnte. „Es ist traurig. Das Bündnis war endlich eine wählbare Alternative. Es war eine harmonische Mischung.“