Mülheim. Studieren in Corona-Zeiten stellt die Hochschule Ruhr West vor neue Herausforderungen. Ein Gespräch über Vor- und Nachteile und die Zukunft.
Auf die Auswirkungen der Corona-Krise war wohl niemand vorbereitet. Auch der Mülheimer Standort der Hochschule Ruhr West (HRW) musste umdenken. Unter dem Stichwort „Digitales Semester“ läuft das Studium seit einigen Wochen weiter. Zwischen digitalen Vorlesungen und Gremiensitzungen auf der Video-Plattform YouTube gibt es noch weitere Errungenschaften, aber auch Herausforderungen, denen sich Hochschulleitung, Dozenten und Studierende stellen müssen. Wir haben mit ihnen gesprochen.
Prof. Marion Gelien, Vizepräsidentin für Studium und Lehre
„Wir mussten das Semester komplett digital aufbereiten, und das ad hoc“, sagt Marion Gelien. „Wir hatten es aber leichter als andere Hochschulen, da wir durch unser junges Alter relativ modern ausgestattet sind und nur wenig anschaffen mussten.“ Doch aller Anfang war schwer. Bis die richtigen Tools gefunden und alle pünktlich in den Videokonferenzen saßen, verging einige Zeit. „Natürlich lief einiges am Anfang schief. Wir alle haben in den letzten Wochen viel dazugelernt.“
Auch die barrierefreien Methoden, Schüler und Lehrpersonal zu informieren, hätten sich als langfristige Ideen festgesetzt. „Wir hatten schon immer einen YouTube-Kanal, haben den aber wenig genutzt“, so Gelien. „Nun kann man sich zu Gremiensitzungen einfach dazuschalten. Das wollen wir auf jeden Fall beibehalten.“
Für die Zukunft sieht die Vizepräsidentin jedoch noch immer den Präsenzunterricht als unverzichtbar. „Wir merken, dass die Studierenden das ähnlich sehen. Das Zwischenmenschliche fehlt. Es lässt sich auch in unserer digitalisierten Welt nicht alles ins Internet verlagern. Eine Mischung aus digitalen Angeboten und Präsenz-Unterricht wäre das Optimum.“
Mit dem „Fest der Errungenschaften“, einem digitalen Festival, hat die HRW ihre Mitarbeiter und Studierenden um Feedback gebeten: Was läuft gut? Was soll beibehalten werden? Die Ergebnisse werden im Nachhinein aufgearbeitet und langfristig in das Hochschulleben integriert.
Prof. Dr. Klaus Thelen, Studiengangsleiter Fahrzeugelektronik und Elektromobilität
Klaus Thelen ist am Mülheimer Standort der HRW Professor für den Studiengang Fahrzeugelektronik und Elektromobilität. Ein Fach, für das Präsenzunterricht und Praxiserfahrung unabdingbar sind. „Es war schon eine stramme Umstellung“, erinnert er sich an die ersten Wochen. „Ich habe viel ausprobiert und mich mit Kollegen abgesprochen. Welches Programm für welchen Zweck man am besten nutzt, was klappt und was nicht. Wir mussten alle neu denken.“
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Seine kompletten Vorlesungen und Übungen spricht der 57-Jährige über Mikrofon und Tablet ein, gerne auch mal in einer Nachtschicht. „Ich bin begeistert davon“, sagt der Dozent. „Für viele Schüler ist es eine Bereicherung, nach Belieben vor- oder zurückspulen zu können und zu arbeiten, wann immer sie Zeit haben.“
Digitale Vorlesungen als Zukunftsmodell
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Er möchte diese Art des Lernens mit in die Zukunft nehmen: „Der Oktober ist schon komplett reserviert, dann digitalisiere ich alle meine Vorlesungen aus dem Wintersemester. Somit habe ich die Basics immer für meine Studierenden zur Hand und im Unterricht kann man dann vielleicht auch mal über den Tellerrand hinausblicken. Da eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten.“
Klaus Thelen fehlt allerdings das Zwischenmenschliche des normalen Arbeitslebens. „Eine Absprache auf kurzem Dienstweg, ein Gespräch auf dem Flur oder der Austausch mit Kollegen sind Komponenten, die ich brauche. Ich bin froh, wenn das wieder möglich ist.“ Ein weiterer Nachteil sei für ihn die Schere zwischen den Studenten, die durch das digitale Semester immer mehr auseinandergeht: „Gerade an den Videozahlen kann man absehen, welche Studierenden ich während eines Videos verliere. Die Stärkeren werden deutlich sichtbarer, die Schwächeren verliere ich noch mehr. Da muss man aufpassen.“
Intensiver Austausch zwischen Dozenten und Studierenden
Besonders der praktische Unterricht im Labor hat den Dozenten vor eine Herausforderung gestellt. Rein mit Simulationen wollte niemand arbeiten, also mussten sich die Beteiligten etwas einfallen lassen. „Hier wurden die Grenzen schnell fließend. Die Studierenden haben sich mit Ideen eingebracht, wie sie Zuhause Teile für ein Auto bauen können. Der Austausch ist sehr rege und meine Studierenden haben auch meine private Handynummer, sie können mich jederzeit anrufen.“
Daniel Matusiak, Bachelor-Studierender im Fach Fahrzeugelektronik und Elektromobilität
Ein Studierender, der das praktische Arbeiten im Studiengang Fahrzeugelektronik und Elektromobilität vorangetrieben hat, ist Daniel Matusiak. Der 22-Jährige studiert im vierten Semester und musste auch erst einmal einen Weg finden, rein digital zu arbeiten. „Die praktischen Aufgaben zu bewältigen, obwohl man nicht mit der eigenen Projektgruppe in einem Raum sitzt, ist ganz schön herausfordernd“, erklärt er. „Aber wir haben einfach improvisiert und uns Material besorgt und Messgeräte aus der HRW bekommen.“ Damit konnte auch daheim gewerkelt werden.
Daniel Matusiak kommt mit der momentanen Art des Lernens zurecht, aber: „Es fehlt der zwischenmenschliche Kontakt. Ob in der Fachschaft, den Kursen oder einfach in einer Freistunde. Die Studierenden ziehen sich ja auch oft gegenseitig mit. Jetzt braucht man sehr viel Selbstdisziplin.“
Integration von digitalen Vorlesungen und Übungen wünschenswert
Prüfungen in Corona-Zeiten
Die Prüfungen für das Sommersemester laufen bereits. Viele mündliche Prüfungen konnten über ein Videokonferenz-System abgehalten werden.
Die anderen Klausuren werden in der HRW geschrieben, dort gelten strenge Richtlinien, um den Mindestabstand gewährleisten zu können. „Eine Prüfung muss von 80 Leuten geschrieben werden, dann werden wir das gesamte Hörsaalzentrum belegen“, sagt Klaus Thelen.
Viele Vorlesungen und Übungen seien sehr detailliert aufbereitet ins Internet gestellt worden, aber nicht alle. „Ich brauche definitiv Präsenzunterricht und werde weniger Kurse besuchen, solange das nicht möglich ist. Aber eine Verzahnung von digitalem und Präsenzunterricht würde ich mir für die Zukunft wünschen.“