Mülheim. Margot Klause-Schmidt erinnert sich an die letzten Kriegstage am Heuweg in Mülheim-Saarn. Schreckliche Bilder hat sie heute noch vor Augen.
Bevor der Zweite Weltkrieg in Mülheim beendet war, musste Margot Klause-Schmidt noch ein schreckliches Ereignis miterleben. Die damals Elfjährige sah einen Granateneinschlag am Heuweg, der sie bis heute nicht loslässt. Die Mülheimerin hat ihre Kriegserinnerungen rund um den 11. April 1945 aufgeschrieben. Auch die Begegnung mit amerikanischen Soldaten, die die Häuser im Einzugsbereich der Ibing-Brauerei und des Steinbruchs Rauen nach Waffen durchsuchten.
„Wir wohnten in einer kleinen Straße nahe der Ruhr in Saarn, am Heuweg, nahe der Lederfabrik Lindgens. In den letzten Wochen vor Kriegsende schliefen wir nachts nur noch im Bunker. Es war ein Felsenstollen im Steinbruch Rauen, den die männlichen Anwohner der Straße in mühevoller Handarbeit gebaut hatten. Jede Familie hatte dort ihren festen Platz“, erinnert sich die Leserin.
Auf feuchten Bänken im Bunker die Nächte verbracht
Von den Felswänden sickerte das Wasser. Die Bänke waren feucht und schimmelig. „Unsere paar Habseligkeiten standen in Köfferchen und Kartons verpackt unter der Bank. An der Decke hing ein langes Rohr für die Frischluftversorgung. Leider konnte man auch hier durch die Mauern Bombensausen, Tiefflieger, Flakgeschosse und Detonationen hören“, beschreibt Margot Klause-Schmidt.
Gesammelte Erinnerungen aus Mülheim
Zahlreiche Leserinnen und Leser haben sich in der Redaktion gemeldet, um ihre Erinnerungen an den Einmarsch der Amerikaner vor 75 Jahren zu schildern.
Wir stellen diese Zeitzeugenberichte in einer Serie vor. Wir möchten damit auch jüngere Leute über eine Zeit informieren, die sie nicht miterleben mussten.
Über Tag hielten sich die damaligen Heuweger in ihren Wohnungen nahe am Bunker auf, „um beim ersten Sirenengeheul loszurennen. Alle Schulen waren geschlossen. Die Industrie arbeitete noch auf vollen Touren. Die Front war so nahe, dass wir unsere deutschen Flak-Granaten fürchten mussten. Sie schlugen überall ein – ohne Vorwarnung“, schildert die Zeitzeugin.
Flak-Granate tötete vier Jungen aus der Nachbarschaft
„Ich war auf dem Weg zum Garten hinter den Haus. Mein Vater hatte dort ein Stück Wiesenabhang umgegraben, um Kartoffeln zu pflanzen. Mit einem Mal hörte ich ein unheimliches Pfeifen. Lauter, immer lauter, näher. Ich konnte mich nur noch auf den Boden werfen. Die Flak-Granate war 200 Meter weiter eingeschlagen. Ein Bild des Grauens, das ich bis heute vor mir sehe. Genau an dieser Stelle, es waren Treppenstufen zum Hauseingang, hatten vier kleine Jungen gespielt. Alle vier waren tot, ihre Körper zerfetzt. Sie waren gerade sechs und sieben Jahre alt.“ Die Leserin hatte alle sehr gut gekannt.
Freudiges Rufen und Umarmen auf der Straße
Nach einer Woche sei das ganze Elend vorbei gewesen. Auf der Straße gab es von überall her ein freudiges Rufen und Umarmen: „Der Krieg ist vorbei, der Krieg ist vorbei, endlich, endlich“, riefen die Leute. „Alle schleppten ihre Sachen aus dem Bunker nach Hause. Eine Verordnung besagte, dass die Bürger die Häuser nur bis 18 Uhr verlassen durften. Von da an war Sperrstunde.“
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Am nächsten Tag kamen die Amerikaner. Margot Klause-Schmidt: „Sie kamen ganz langsam die Straße herauf. Fünf Soldaten mit rundem Stahlhelm, im Tarnanzug – und bewaffnet. Zwei waren dunkelhäutig. Bei uns Kindern war die Neugierde genau so groß wie die Angst.“ Die GIs durchsuchten jede Wohnung nach Waffen. „Beliebtestes Souvenir waren Nazibilder und Armbanduhren.“
Soldaten lächelten beim Anblick des Heiligenbildes
„Dann war unsere Wohnung dran. Einer hob alle Oberbetten hoch, der andere schaute in sämtliche Schränke und hinter jeden Vorhang. Wir hatten Angst. Man verstand kein Wort“, erinnert sich Margot Klause-Schmidt. „Dann sahen sie im Schlafzimmer meiner Eltern über dem Bett ein Heiligenbild. Ein Lächeln ging über die Gesichter. ,Ah, du Katholik?’, sagte einer. Beim Hinausgehen nahm mich der dunkle Soldat zur Seite, schenkte mir ein Kaugummi und eine Scheibe Weißbrot, weiß wie Schnee, vermutlich gebacken aus Reismehl.“
Mülheimer stand am Hingberg für die Amerikaner Spalier
Auf der Heinrichstraße lebte damals Ursel Chaikowski mit ihrer Familie. „Wir wohnten damals sehr eng mit Onkel und Tanten. Wenn die Erwachsenen sich unterhielten, kriegten wir Kinder fast alles mit. Daher wusste ich: Mein Vater hörte den amerikanischen Sender. Abends mussten wir in den Bunker hinter der Gaststätte Ternieden, später am Folkenborn-Büschken.“
Am Abend des 10. April seien die Nachbarn von der Arbeit bei Krupp in Essen nach Hause gekommen. „Sie sagten, die Amerikaner kommen. Am nächsten Morgen sind wir alle zum Hingberg gelaufen und haben zu ersten Mal Schwarze gesehen. Die warfen uns Kindern Schokolade zu. Das Wrack des englischen Bombers lag da immer noch auf dem Feld hinter unseren Haus“, erinnert sich die heute 85-Jährige.