Mülheim. Geprobt wird im Theater an der Ruhr zurzeit fast nur digital. Als neues Format sind dabei drei Videos zu “Antigone“ von Thomas Köck entstanden.
Der Vorhang wird sich im Theater an der Ruhr bis zur Sommerpause nicht mehr öffnen. Für die nächste Spielzeit wird aber schon mit großem Eifer geprobt - und zwar fast ausschließlich auf einer digitalen Konferenzplattform.
"Antigone" in der Fassung von Thomas Köck soll im September Premiere haben. Im Rahmen der ungewöhnlichen Probenarbeit ist etwas entstanden, das es unter normalen Bedingungen nicht gegeben hätte: eine Video-Trilogie, die die Zuschauer sich online anschauen können. Start ist am 15. Mai.
Leseproben und Gespräche auf Konferenzplattform
Leseproben und Konzeptionsgespräche, die sonst im Theater selbst stattfinden, verlegten sieben Schauspieler, ein Studiomusiker und die Regisseure Simone Thoma und Markus Schlappig ins Digitale. "Wir vermissen die analogen Proben, aber es geht auch so ganz gut. Und wir haben mit den Videos ein ganz interessantes neues Format entwickelt", sagt Schlappig.
"Antigone. Ein Requiem" ist eine Rekomposition der antiken Tragödie von Sophokles, in Sprache und inhaltlicher Ausrichtung aber anders. "Köck hat den Konflikt zwischen Kreon und seiner Tochter Antigone aus dem familiären Zusammenhang genommen und auf eine globale, gesamtgesellschaftliche Ebene gehoben", erläutert Schlappig. Es gehe um die Frage, ob wir Verantwortung für die dunklen Kapitel der Geschichte, für Leid und Tod, übernehmen müssen. Das sei sehr aktuell in einer Zeit, in der "die Flucht ins Unmittelbare der Gegenwart" gesucht werde.
"Potosi-TV" reflektiert Textstellen aus dem Stück
Im Laufe der Proben habe man das Thema umkreist, dabei auch mit Fremdtexten und Fremdmusiken gearbeitet. "Das ist üblich in Probeprozessen, aber der Zuschauer kriegt davon normalerweise nichts mit. Jetzt machen wir diese Momente mit den Videos öffentlich. Es ist ein digitaler Zwischenschritt, der am Tag der Premiere nicht mehr zu sehen sein wird, der aber spürbar bleibt", erläutert Markus Schlappig.
"Potosi-TV" nennt sich die dreiteilige Video-Reihe, zu sehen ist eine Talkshow, die mit Textpassagen von Köck arbeitet, sie sozusagen vergrößert in Szene setzt und reflektiert. Warum Potosi? "Potosi ist eine Stadt in den bolivianischen Anden, in der seit dem 16. Jahrhundert Silber abgebaut wurde und Silbermünzen hergestellt wurden. Irgendwann ist der Berg durch den starken Abbau abgesackt, rund acht Millionen Menschen haben insgesamt in Potosi den Tod gefunden. Die Stadt ist also ein Sinnbild dafür, was hemmungsloses Profitstreben der Natur und den Menschen abverlangt", erklärt der Regisseur.
Gespräche mit Studiogästen und Liveschaltungen
Im Verlauf der Talkshow werde es Gespräche mit Studiogästen, vermeintliche Liveschaltungen nach Podosi geben. Auch in den TV-Debatten geht es unter anderem darum, inwieweit ein jeder sich verantwortlich fühlen muss für das, was auf der Welt passiert - auch für das Sterben anderer Menschen. "Im Text ist von ,angeschwemmten Toten' die Rede. Man denkt an die aktuelle Situation im Mittelmeer, aber das Problem ist natürlich weiter gefasst."
Am Montag hat das Ensemble damit begonnen, die drei Videos (à 30 bis 45 Minuten) aufzunehmen - parallel zu den Proben für die Bühnenfassung der "Antigone" (natürlich unter Coronaschutzmaßnahmen). Nach jeder Videoausstrahlung wird auch ein Live-Video-Chat angeboten, bei dem die Zuschauer mit Roberto Ciulli, Helmut Schäfer und Markus Schlappig über das Gesehene diskutieren können.
ES GEHT DIGITAL WEITER
Eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs unter stark eingeschränkten Bedingungen nach dem 30. Mai erscheint dem Theater an der Ruhr wenig sinnvoll. Man hat sich entschieden, die künstlerischen Möglichkeiten im digitalen Raum bis zur Sommerpause weiter zu erforschen.
Die drei Folgen der Antigone-Talkshow sind zu sehen am 15. Mai, 29. Mai und 12. Juni, jeweils um 19.30 Uhr.
Darüber hinaus gibt es einen umfangreichen digitalen Spielplan, wir werden in den nächsten Tagen darüber berichten. Informationen zu Videos und Veranstaltungen unter www.theater-an-der-ruhr.de/