Mülheim. In einer Feierstunde erhalten zwei ausgezeichnete Autoren den Dramatikerpreis. Thomas Köck für „Atlas“ und Kristo Šagor für „Ich lieb dich“.

Publikum und Fachleute sind im Theater selten einer Meinung. Das Tiefsinnige und der Bruch der Konvention mag viele Kritiker begeistern, aber den Zuschauer achselzuckend und ratlos zurücklassen. Bei den Stücken gelang der Doppelsieg bislang nur 2007 Rimini Protokoll mit ihrem Stück über Karl Marx.

Wenn beide Seiten von einem Stück und seinem Autor begeistert sind, dann ist das ein besonderes Prädikat für den Preisträger. Beim jüngsten Stücke-Festival gelang dies sogar zweifach: bei den Kinderstücken mit „Ich lieb dich“ von Kristo Šagor und mit „Atlas“ von Thomas Köck. In einer Feierstunde überreichte Oberbürgermeister Ulrich Scholten den beiden Autoren gestern ihre Urkunden. Für den 33-jährigen Österreicher war es das zweite Mal in Folge, dass er den mit 15.000 Euro dotierten Dramatikerpreis gewonnen hat

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Dan Thy Nguyen und die Vietnamesen in der DDR

Als Festivalleiterin Stephanie Steinberg die Preisträger fragte, was sie sich für einen künstlerischen Beitrag wünschen, nannte Köck den Autor und Regisseur Dan Thy Nguyen, der über den Anschlag auf das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen 1992, basierend auf Interviews mit den Opfern ein Hörspiel gemacht hat.

Über hundert Vietnamesen, die als Vertragsarbeiter in der DDR gearbeitet hatten, waren damals mehrere Tage lang in dem Hochhaus eingesperrt, das von mehreren hundert Rechtsradikalen mit Steinen und Molotow-Cocktails beworfen wurde, während davor mehrere Tausend Schaulustige applaudierten und die Polizei sich zeitweise ganz zurück zog.

Persönliches Familiendrama über drei Generationen

Thematisch passt das gut zu Köcks Stück, das ein persönliches Familiendrama über drei Generationen zeichnet, das vor dem Hintergrund der Teilungs- und Wiedervereinigungsgeschichten von Vietnam und Deutschland spielt. Bei einem Gastspiel des Theaters Leipzig in Berlin war es vor einigen Tagen zu Protesten von Vietnamesen gekommen.

Sie kritisierten, dass in der Inszenierung von Philipp Preuss, der gerade am Theater an der Ruhr seine dritte Inszenierung vorbereitet, kein Vietnamesen auf der Bühne steht und unterstellten damit Rassismus. Die Einladung des Regisseurs, sich das Stück anzuschauen und dann darüber zu diskutieren, schlugen die etwa 15 Protestierenden allerdings aus. Darauf und auf offene Briefe indirekt Bezug nehmend, verteidigte Nguyen, der vietnamesische Wurzeln hat, Autor, Stück und Regisseur.

Šagor gewinnt nicht nur den Mülheimer Preis

Die schwungvoll vorgetragene und pointierte Laudatio von Stefan Fischer-Fels (Leiter Junges Schauspiel Düsseldorf) auf Kristo Šagor machte Lust, die Texte des 33-Jährigen zu lesen und deren Umsetzung auf der Bühne zu sehen. Schon einmal war der vielfach ausgezeichnete Autor bei den Kinderstücken nominiert, vor fünf Jahren mit „Patricks Trick“. Es wurden inzwischen über 30 Mal nachgespielt, so viel wie kein anderes Kinderstück in dieser Zeitspanne.

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Da Šagor gerade auch den Jugendpreis des Heidelberger Stückemarktes mit „Iason“ gewonnen hat, wird es im kommenden Jahr bei den Stücken im Rahmenprogramm zu sehen sein. Eine Kostprobe seines Sprachwitzes und seiner Klugheit konnte das Publikum bei der szenischen Lesung „Das Kind mit dem Bade ausschütten“ erleben. Dabei ringen Mut und Gewissen als zwei Aspekte einer Person mit ihrer Angst, Verbotenes zu tun, und begegnen auf dem Speicher dem Geist der toten Großmutter. Es ist ein weiterer Beweis, dass Kindertheater nicht zu unterschätzen, kleinzureden oder weniger anspruchsvoll ist.