Mülheim. Tausende Jugendliche in Mülheim gehen nach der Corona-Zwangspause wieder zur Schule. Die Bedingungen sind für alle extrem gewöhnungsbedürftig.
Alle weiterführenden Schulen in Mülheim sind seit Donnerstag wieder geöffnet. Unterrichtet werden aber nur Jugendliche, denen Abschlussprüfungen bevorstehen: Zehntklässler, Schüler an Berufskollegs, Abiturienten. Jeder Schritt wird überwacht, jede Hand unter Aufsicht gewaschen.
Mülheimer Lehrerinnen haben Mundschutzmasken genäht
Die Realschule an der Mellinghofer Straße, die im Normalbetrieb fast 590 Schüler besuchen, startet mit 89 Jugendlichen der zehnten Klassen. Schulleiterin Judith Koch wirkt zufrieden: "Alle sind brav gekommen, bis auf drei Schüler, die Vorerkrankungen haben." Jeder hat eine Mundschutzmaske bekommen, von Lehrerinnen selber genäht. "Sie muss immer getragen werden, wenn die Schüler sich im Gebäude bewegen. Wenn sie am Tisch sitzen, nicht."
Die Abstände zwischen den Plätzen wurden sauber vermessen, anderthalb Meter müssen es mindestens sein, jede Klasse ist jetzt in drei Gruppen unterteilt. Unterrichtet werden nur Fächer, in denen ab 12. Mai die Abschlussprüfungen anstehen: Deutsch, Mathe, Englisch und ein individuelles Wahlfach.
Große Kreise auf dem Hof - "unaufgeregt, aber herzlich"
Drei Zeitstunden stehen auf dem Plan, dazwischen jeweils 15 Minuten Pause. "Dafür haben wir die Aufsicht verstärkt", berichtet die Schulleiterin. Vier Kollegen überwachen den Hof, zwei achten im Gebäude darauf, dass die Abstandsregeln eingehalten werden, dass immer nur eine Person zur Toilette geht. Die Premiere am Donnerstag hat offenbar gut funktioniert: "Auf dem Schulhof haben die Jugendlichen große Kreise gebildet", so Judith Koch, "alles lief unaufgeregt, aber herzlich."
Die Vorbereitung fand sie dennoch kompliziert. "Das größte Problem für uns als Schulleitung war, ganz kleinteilig zu überlegen, wie wir die Vorgaben praktisch umsetzen."
Gesamtschule hat einen Musterraum aufgebaut
Das Team der Gesamtschule Saarn hat in den vergangenen Tagen eigens einen Musterraum aufgebaut, um alles auszumessen und abzuchecken, berichtet Schulleiterin Claudia Büllesbach. "Am Mittwoch haben wir noch einmal einen Kontrollrundgang durch das Haus gemacht." An der Lehnerstraße sind auch deutlich größere Personenzahlen unter speziellen Corona-Bedingungen unterzubringen: insgesamt 92 Jugendliche aus den zehnten Klassen und 85 Abiturienten.
Die Älteren nehmen freiwillig am Unterricht teil. "Nur sieben Abiturienten haben angegeben, dass sie nicht kommen möchten", sagt Oberstufenleiterin Andrea Lutter. Sie glaubt: "Meine Schüler freuen sich, dass es weitergeht. Sie fühlen sich inhaltlich gut vorbereitet, aber es ist etwas ganz anderes, wieder persönlichen Kontakt zu haben und den Fachlehrern Fragen stellen zu können."
Lehrer reinigen in der Pause alle Tische mit Spülmittel
Die Gesamtschule Saarn hat entschieden, die Abiturienten fächerweise zu unterrichten. Am Donnerstag steht ausschließlich Biologie auf dem Stundenplan, Leistungs- und Grundkurse, am Freitag folgt Deutsch. Einbahnstraßen wurden angelegt: Ein einziger Weg führt ins Schulgebäude, ein anderer hinaus. Die Abiturienten haben 120 Minuten Unterricht, danach gehen sie wieder nach Hause. Ehe die nächste Gruppe ihre Plätze einnimmt, säubern Lehrer eigenhändig alle Tische mit Spülmittel.
Der erste Gang führt für alle zum Waschbecken, um die Hände zu reinigen. Eine Mundschutzpflicht besteht in der Gesamtschule Saarn jedoch nicht. "Wir können nicht an alle Masken verteilen", erklärt Michael Rölver, stellvertretender Schulleiter. "Da aber der Großteil unserer Schüler mit dem Bus kommt, werden sie sich bis Montag wohl selber Masken besorgen müssen."
Saarner Schulleiterin: "Sehr viel Aufwand"
Im anderen Teil der Schule steht gerade ein Schichtwechsel an. Vor dem Pavillondorf haben sich Zehntklässler versammelt, dazwischen ein Lehrer, der spaßeshalber den Zollstock schwingt. Sind alle glücklich, dass die Schule wieder anfängt? Gemischte Reaktionen sind zu hören, überwiegend zustimmend. Eine Mädchen meint: "Wir sind froh, dass sich Unterricht wieder einrichten lässt, weil wir ja bald Abschlussprüfungen haben."
Schule in Corona-Zeiten ist allerdings ein organisatorischer Kraftakt. Schulleiterin Claudia Büllesbach sagt: "Es ist sehr viel Aufwand für eine relativ kleine Gruppe. Wir haben wirklich Sorgen, was nach dem 4. Mai passiert."
Berufskolleg sperrt Zuspätkommer aus
Gleich neben der Gesamtschule liegt das Berufskolleg Lehnerstraße. Dort wurde Unpünktlichkeit am Donnerstag unerwartet streng geahndet. Um 10.30 Uhr sollte der Unterricht für eine größere Gruppe losgehen, um 10.35 Uhr stehen etwa 20 Jugendliche vor dem Gebäude, schimpfend, aufgebracht. Sie seien nur zwei Minuten zu spät gekommen, beschwert sich ein Mädchen. "Und jetzt sind die Türen abgeschlossen. Sie lassen uns einfach nicht mehr rein. Dabei machen wir Prüfung, Fachabitur, und heute haben wir BWL, das wichtigste Fach!"
Das Kollegium hat seine Linie tatsächlich strikt durchgezogen, das wird eine Lehrerin später bestätigen. "Jeder hat die Mail bekommen, dass es um 10.30 Uhr losgeht." Die verspäteten Jugendlichen gehen unverrichteter Dinge nach Hause. Empört. Am Freitag bekommen sie eine zweite Chance.
Info: Hälfte der 920 Mülheimer Abiturienten im Unterricht
„Die Schulleiter haben die Stimmung überwiegend als gut beschrieben“, resümiert Schuldezernent Marc Buchholz den ersten Schultag nach Wochen. Der Mindestabstand sei meist eingehalten worden, auch der Schülertransport mit öffentlichen Verkehrsmitteln habe gut geklappt. Viele Schüler seien mit Alltagsmasken gekommen.
Rund die Hälfte der 920 Mülheimer Abiturienten hat das Angebot wahrgenommen, sich an den Gymnasien und Gesamtschulen sowie am Berufskolleg Lehnerstraße auf die Prüfung vorzubereiten. Die Schulleitungen gehen davon aus, dass sich diese Zahl täglich ändern wird, da fächerabhängig unterschiedliche Angebote hinzukommen.
25 Prozent der Lehrer im Einsatz an den Schulen
In der Jahrgangsstufe zehn der Hauptschulen, Realschulen und Gesamtschulen haben etwa 95 Prozent der rund 900 Schüler am verpflichtenden Unterricht teilgenommen. Einige wenige hatten sich krankgemeldet oder wegen Vorerkrankungen den Unterricht nicht besucht. Für die Berufskollegs konnte die Stadt keine Schülerzahlen nennen. Einige haben erst Anfang Mai Blockunterricht, andere starten kommende Woche mit ihren Fächern.
Rund 25 Prozent der Mülheimer Lehrer waren am Donnerstag im Einsatz an den Schulen, zum Teil zum Unterrichten, zum Teil für die Aufsicht. Personelle Engpässe gibt es laut Informationen der Stadt in manchen Bildungsgängen am Berufskolleg.