Mülheim. Alle Mülheimer Gastronomen ächzen unter der langen Corona-Schließzeit. Sie hoffen auf baldige Öffnung, sonst wird es manche nicht mehr geben.

Seit fünfeinhalb Wochen ist die Gastro-Szene in Mülheim lahmgelegt. Anfangs durften Gäste noch bis 15 Uhr kommen, schnell hatte sich auch das erledigt. Manche Betreiber wandeln ihr Geschäft in Lieferservice um, andere nutzen die Zeit, um zu renovieren. Doch für alle ist klar: Viel länger ist das nicht mehr auszuhalten. Ein Überblick.

Mülheimer Gastronomie: Soforthilfe deckt Fixkosten lange nicht

Ratskeller und Bürgergarten: „Das einzige, was wir machen, ist Stornierungen zu verwalten“, sagt Jörg Thon. Der Inhaber des Ratskellers und des Bürgergartens hat wenig Verständnis dafür, dass Baumärkte und Möbelgeschäfte öffnen dürfen und Restaurants nicht. Seine zehn fest angestellten Mitarbeiter musste er in Kurzarbeit schicken, seine Aushilfen sind ganz weg. Die vier Auszubildenden habe er „an der Backe“, beschäftige er „sinnlos“ seit bald sechs Wochen – zu seinen Kosten.

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Gerade für Start-Ups sei es schwierig. Und für die, die vom Sommergeschäft leben und gerade aus der ohnehin mauen Winterzeit kamen. Die Soforthilfe? „Das ist nichts“, sagt Thon, der Mülheimer Ortsgruppenvorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) ist. Denn Miete, Strom, Müllabfuhr blieben als fixe Kosten und werden nicht aufgefangen durch 9000 bis 25.000 Euro, je nach Betriebsgröße.

„Es wird Betriebe geben, die nach Corona nicht wieder aufmachen“

Zu Beginn hatte sich Thon gegen einen Abholservice entschieden, zu groß sei der Aufwand für zu wenig Ertrag. Aber die Stammkunden haben ihn darum gebeten, und seit Mittwoch kochen Thon und seine Azubis Lebensmittel ein, verkaufen sie in Gläsern und Sterildärmen. In den ersten drei Wochen der Schließung hat er den Bürgergarten komplett renoviert, den Ratskeller auf Vordermann gebracht.

Jörg Thon hofft, dass sich ab Anfang Mai die Regelungen lockern, dass er und seine Kollegen unter Auflagen wieder aufmachen können. Welche das dann sind, ist noch völlig unklar. Wie müssen Gläser gespült werden? Müssen Mitarbeiter Schutzmasken und Handschuhe tragen? Braucht es antibakterielles Papier für Speisekarten? Das hat Thon schon bestellt. Klar ist für ihn nur: „Es wird Betriebe geben, die nach Corona nicht wieder aufmachen.“

Ronja-Betreiber: „Corona ist eine Katastrophe“

Ronja: „Für uns sieht es sehr schwierig aus“, sagt Sinan Bozkurt, Betreiber des Ronja im Ringlokschuppen. „Unser Konzept ist für Gäste, die zu uns kommen, die sich Zeit genommen haben für einen Besuch. Das ist alles weg.“ Eine „Katastrophe“ sei Corona, sagt Bozkurt, der hofft, sie irgendwie zu überstehen.

Im Mai 2019 hat Sinan Bozkurt das Ronja im Ringlokschuppen eröffnet.
Im Mai 2019 hat Sinan Bozkurt das Ronja im Ringlokschuppen eröffnet. © Funke Foto Services | Martin Möller

Über 24 Mitarbeiter beschäftigt er, zehn davon Vollzeit in Festanstellung – sie alle sind nun in Kurzarbeit. Viele Lebensmittel musste Bozkurt wegwerfen, der zusammen mit ein, zwei Mitarbeitern an fünf Tagen in der Woche einen Lieferdienst und Abholservice anbietet.

Er hofft, dass er bald wieder öffnen kann, zumindest den großen Außenbereich, in dem es leicht möglich ist, die Abstandsregeln einzuhalten. Und er ist froh, dass die Mehrwertsteuer auch für den Restaurantbesuch von 19 auf sieben Prozent gesenkt wurde; das galt bislang nur für Waren zum mitnehmen. „Die Existenzangst ist immer da“, sagt Bozkurt, „aber jetzt ganz besonders“.

Esszimmer: Abholgeschäft reicht, um sich über Wasser zu halten

Esszimmer: Einen Vollzeit-Koch kann sich Mario Bille nicht mehr leisten und so steht der Besitzer des Esszimmers täglich mit zwei Aushilfen alleine in seinem Laden am Eppinghofer Kreisel. Das Abholgeschäft werde „ganz gut angenommen“, gehörte auch früher schon zum Konzept, reiche aber nun lediglich dafür aus, sich über Wasser zu halten. „Es fehlen die Getränkeumsätze“, sagt Bille. „Und die hochwertigeren Bestellungen, die zum Abholen kaum einer macht.“

Bille hat sich gegen das Liefergeschäft entschieden, zu sehr müsste er dafür das Personal aufstocken. Er hofft auf eine baldige Ansage der Politik, wie es weitergeht, um endlich planen zu können. Alle hätten die Personalstruktur heruntergefahren, es brauche Zeit, die Mitarbeiter wieder zu reaktivieren. Er sei froh, wenn es weitergeht, „und ich wieder neue Leute reinholen kann“.

Franky’s: Normalerweise 130 Aushilfen im Sommer

Franky’s: Rund 130 Aushilfen sind in den mittlerweile vier Franky’s-Gastronomien im Sommer im Einsatz. Wie viele davon Inhaber Richard Reichenbach tatsächlich beschäftigen kann, weiß er nicht. Noch ist die Hoffnung da, dass zumindest die Außengastronomie bald öffnen kann, dass im Sommer vielleicht private Feiern wie Hochzeiten wieder möglich sind.

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Mitte März erst hatten er und das Ehepaar Sandra und Tobias Volkmann nach den Lokalen im alten Wasserbahnhof, im Ruhrkristall und am Güterbahnhof die vierte Gastronomie eröffnet: im Mintarder Wasserbahnhof.

Die 23 Festangestellten hat Richard Reichenbach in die Kurzarbeit schicken müssen, hat ihnen das Kurzarbeitergeld vorgestreckt, das just am Donnerstag für den Monat März bei Franky’s angekommen ist. Auch die Soforthilfe in Höhe von 25.000 Euro hat Franky’s in Anspruch genommen. Noch gehe es, aber wenn die Wiedereröffnung weiter nach hinten geschoben wird, werde die Situation kritisch. „Wir versuchen, Kündigungen zu umgehen“, sagt Reichenbach.

Mehrwertsteuer reduziert

Die Große Koalition im Bundestag hat entschieden, dass die Mehrwertsteuer in der Gastronomie ab dem 1. Juli befristet bis zum 30. Juni 2021 auf sieben Prozent gesenkt wird. Der niedrigere Steuersatz galt bislang nur für Lieferdienste.

Zahlreiche Mülheimer Restaurants liefern nun auch aus oder bieten Essen zum Abholen an. Welche das sind, lesen Sie auf waz.de/228834115.

Dayang Sumbi: Andreas Borgmanns kleiner indonesischer Imbiss „Dayang Sumbi“ steht exemplarisch für viele kleine Lokale, die noch nicht lange geöffnet haben. Borgmann hat das Dayang Sumbi vor knapp einem Jahr übernommen, seine einzige Angestellte hat er in Kurzarbeit geschickt.

„Wir hatten es in dem Jahr geschafft, bekannter zu werden, aber weniger in Mülheim“, sagt Borgmann. Kunden, die sonst für das im Ruhrgebiet seltene indonesische Abendessen auch dutzende Kilometer fahren, machen das nicht, um Essen abzuholen. Die Soforthilfe, die Borgmann erhalten hat, hat er erstmal zur Seite gelegt. „Nicht, dass da eine böse Überraschung kommt und ich etwas zurückzahlen muss.“ Er selbst verdiene nun gar nichts mehr – „daran brauche ich gar nicht zu denken“.