Mülheim. Grünen-Mitbegründer Wilhelm Knabe (Mülheim) hat mit 96 Jahren seine Autobiografie veröffentlicht. Wir sprachen mit ihm über sein bewegtes Leben.

Wilhelm Knabe (96) hat viel erlebt. Jetzt hat der Mit-Gründer der Grünen, der von 1987 bis 1990 für Mülheim im Bundestag saß und von 1994 bis 1999 Bürgermeister unserer Stadt war, seine Lebenserinnerungen aufgeschrieben. Ein Gespräch.

Warum sollte man Ihre Memoiren lesen?

Knabe: Weil mein Buch Mut macht und mit Vorurteilen über das Alter aufräumt. Ich möchte Menschen Mut machen und ihnen am Beispiel meiner eigenen Lebensgeschichte zeigen, dass auch im Alter noch viel passieren kann und man keine Angst davor haben soll, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen und Schönes im Leben zu entdecken.

Lohnt sich die Lektüre Ihrer Autobiografie auch für Jugendliche?

Wenn ich mit Jugendlichen über die Erfahrungen meines Lebens gesprochen haben, hörte ich oft: Schreiben Sie das doch mal auf! 2013 habe ich dann damit angefangen. Es begann mit einem Gespräch, das ich mit meinem Enkel geführt habe. Ich habe dann Erinnerungen auf Band gesprochen und niedergeschrieben.

Wilhelm Knabe im März bei einer Demo der Mülheimer „Fridays for Future“. Im hohen Alter scheut der Grünen-Mitbegründer das Engagement für seine politischen Ziele nicht.
Wilhelm Knabe im März bei einer Demo der Mülheimer „Fridays for Future“. Im hohen Alter scheut der Grünen-Mitbegründer das Engagement für seine politischen Ziele nicht. © FUNKE Foto Services | Tamara Ramos


Was ist Ihre Botschaft?

Denkt nach und habt Mut, euren eigenen Weg zu gehen, statt nur dem vermeintlichen Zeitgeist zu folgen. Denn die Welt schreit danach, vernünftig zu werden. Deshalb müssen wir nicht nur unsere Umwelt schützen, sondern uns auch als Teil einer Mitwelt sehen, in der wir nur gemeinsam vorankommen, wenn wir respektvoll und wertschätzend miteinander umgehen.

Was gibt Ihnen Kraft?

Schönes anzuschauen, zum Beispiel Blumen oder Vögel oder alte Häuser und Schlösser, bei deren Anblick ich denke: Mensch, was haben unsere Altvorderen doch an schöner und sehenswerter Architektur geschaffen, die auch nach Jahrhunderten und Jahrzehnten noch lange kein abrissreifer Schrott ist, sondern uns viel zu sagen hat.

Welche Herausforderung muss unsere Gesellschaft bewältigen?

Einzusehen, dass die Erde ein kleines grünes Raumschiff ist, das durch ein lebensfeindliches All fliegt und nur bestehen kann, wenn seine Besatzung solidarisch ist und zusammenarbeitet. Wir müssen als Menschen erkennen, dass wir nicht alles bekommen können, was wir uns wünschen und dass Gier am Ende nicht glücklich macht. Deshalb brauchen wir Entschleunigung statt Beschleunigung und tun gut daran, immer wieder mal eine Besinnungspause einzulegen.

Wofür sind Sie im Rückblick dankbar?

Zum Beispiel dafür, dass ich viele Menschen animieren konnte, mitzugehen und mitzumachen, um zum Beispiel grüne Schneisen im Ruhrgebiet zu erhalten, die etwa mit einer Autobahn A 31 zugebaut werden sollten. Ich bin dankbar dafür, dass ich jetzt in Berlin den 40. Geburtstag der Grünen mitfeiern und miterleben darf, dass aus grünen Splittern heute eine politisch prägende Kraft geworden ist. Die Grünen können Gutes für und in unserer Gesellschaft bewirken, wenn sie sich verkneifen, Politik von oben herab und gegen den Willen der Bürger zu machen.

Sie haben zwei Diktaturen er- und überlebt. Was lehrt Sie das?

Ich weiß um die elementare Bedeutung freier Wahlen, weil ich weiß, wie es ist, wenn man keine Wahl hat. Und ich weiß, dass man in der Demokratie miteinander reden muss und gegenseitige Vorwürfe zu nichts führen, weil man zusammen mehr erreichen kann als allein.