Mülheim. Der Mülheimer Martin Brock findet, dass seine Heimatstadt beim Finanzausgleich benachteiligt wird. Dafür führt er zahlreiche Gründe an.
Mülheim ist die höchst verschuldete Großstadt in Nordrhein-Westfalen. Bei über zwei Milliarden Euro Schulden, macht pro Kopf über 11.000 Euro, muss Mülheim seit 2011 mit einem Nothaushalt arbeiten und erhält seit 2017 über 30 Millionen Euro aus dem Stärkungspakt für finanzschwache Kommunen. Alles hausgemacht? Nein, sagt Martin Brock. Der Mülheimer findet, dass die Stadt beim Finanzausgleich des Landes NRW benachteiligt wird. Das sind seine Gründe – und die Erklärungen des Kämmerers.
„Mülheim leistet sich weder teure Schwimmbäder, noch ein teures Drei-Sparten-Theater, noch Kita-Gebührenfreiheit, noch direkt oder indirekt subventionierten Spitzensport – eigentlich leistet sich Mülheim außer den 30 Millionen Euro ÖPNV-Subventionen keinen Luxus“, sagt Brock. Woher also kommen die Rekord-Schulden?
NRW-Zuweisungen an Mülheim: Ungerechtigkeit bei Einwohner-Berechnung
In NRW regelt das Gemeindefinanzierungsgesetz die Verteilung von Schlüsselzuweisungen an die Kommunen. Dabei gibt es folgende Kriterien:
- Einwohnerzahlansatz
- Schüleransatz
- Soziallastenansatz
- Zentralitätsansatz
- Flächenansatz
Das Wichtigste dabei ist die Einwohnerzahl, rund 50 Prozent der Mittel werden über diesen Faktor verteilt. Und hier sieht Martin Brock die erste Ungerechtigkeit: Denn dieser Faktor wird nicht proportional zur Einwohnerzahl, sondern nach Größenklassen gestaffelt errechnet. Bei Kommunen mit 25.000 Einwohnern wird der Faktor 100 Prozent angesetzt, bei Mülheim sind es 118 Prozent, in Oberhausen 121 und in Duisburg 136.
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„Das Land geht davon aus, dass eine Stadt mit mehr Einwohnern auch mehr für ihre Einwohner leisten muss, ihr zum Beispiel mehr Freizeitmöglichkeiten bieten muss“, sagt Kämmerer Frank Mendack. Brock hält die Argumentation des Landes nicht für schlüssig. Sie möge ja für Städte sinnvoll sein, in deren Umfeld sich keine weitere große Stadt befindet, wo es ein klares Stadt-Land-Gefälle gibt. „An der Realität des Siedlungsraumes Rhein-Ruhr mit seinen zwölf Millionen relativ gleichmäßig verteilten Einwohnern geht das vorbei.“
Kämmerer Mendack: Mandatsträger bevorzugen ländlichen Raum
Ähnlich sieht er das beim Thema Zentralitätsansatz, der Gemeinden dafür entschädigen soll, dass sie zusätzliche Kosten haben, weil sie Funktionen für das Umland übernehmen. Im Ruhrgebiet aber sei das sinnfrei. „Welche Stadt ist hier schon zentraler als die anderen?“, fragt Martin Brock. Zudem wird als Kriterium die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten herangezogen. Mülheim hat aber verhältnismäßig viele Selbstständige und Rentner – die aber bei der Berechnung keine Rolle spielen.
Zur Person
Martin Brock ist Controller bei einem Großunternehmen, hat also beruflich viel mit Zahlen zu tun. Seine aufwendigen und umfangreichen Recherchen betreibt er aus Verbundenheit zu seiner Heimatstadt.
„Mein Ansporn ist, dass ich gesehen habe, dass sich offenbar niemand fragt, warum eine wohlhabende Stadt wie Mülheim, die immer eine hohe Steuerkraft hatte und immer noch hat und die über sehr viel Tafelsilber verfügte, in eine solche Haushaltskrise geraten konnte“, sagt der 55-Jährige.
Kämmerer Mendack sieht ein Problem darin, dass die meisten Mandatsträger im Landtag aus dem ländlichen Raum kommen – und ihn dementsprechend bevorzugen. Allerdings haben die Kämmerer der mittelgroßen Städte wie Mülheim, Oberhausen, Bottrop oder Krefeld einen Erfolg erzielt: Ein geplantes Reformmodell des Sozialkostenansatzes sah einen Verlust der Schlüsselzuweisungen um knapp 67 Prozent vor bei Kommunen zwischen 150.000 und 300.000 Einwohnern; er wird nun doch nur halb so hoch sein. Trotzdem bereitet Mülheim diese Kürzung fünf Millionen Euro Verlust.
„Mülheim wird jährlich um 54 Millionen Euro benachteiligt“
Die eigentlichen Probleme des städtischen Haushalts sieht der Kämmerer aber woanders: „Wir haben Defizite im ÖPNV, Personal und ÖPP angehäuft, die wir alle haben laufen lassen“, so Mendack. „Wir haben uns über Jahre belastet und müssen da jetzt rauskommen.“ Hinzu komme, dass Gewerbeflächen nicht frühzeitig und strategisch geplant worden sind.
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Martin Brock hat alle Zahlen zusammengetragen, hat einen Vergleich zwischen 22 Städten gezogen und sagt, dass Mülheim jährlich um 54 Millionen Euro benachteiligt wird. Seine Schlussfolgerung: „Wenn die Landespolitik die politische Entscheidung trifft, Städte nach ihrer Größe und ihrem Zentralitätsgrad mit Finanzmitteln auszustatten, dann muss die Politik auch den Mut haben, den Bewohnern kleineren Großstädte, beziehungsweise der weniger zentralen Städte zu sagen, dass sie eben nicht dieselbe Finanzausstattung für ÖPNV, Bildungsangebote und Kultureinrichtungen erhalten wie die direkte Nachbarstadt.“