Mülheim. Eine Ausstellung in der Kirche St. Michael zeigt die Geschichte der Mülheimer Gemeinde auf. Am 23.12.1919 wurde der erste Gottesdienst gefeiert.

Heute denken die christlichen Kirchen angesichts schrumpfender Mitgliederzahlen über die Aufgabe oder Umwidmung ihrer Gotteshäuser nach. Vor über 100 Jahren dagegen planten die evangelische und die katholische Kirchengemeinde Mülheims neue Gemeinden in Broich und Speldorf. Denn hier war die Bevölkerung infolge der Industrialisierung enorm gewachsen.

Neue Gemeinden in Broich und Speldorf

Am 23. Dezember 1919 wurde in St. Michael an der Schumannstraße der erste Gottesdienst gefeiert. Die Kirche war noch nicht ausgemalt. Einen Altar aus Holz hatte die Nachbargemeinde Herz Jesu zur Verfügung gestellt. Zur Geschichte und zum Leben der Gemeinde hat Gerd Fölting eine Ausstellung initiiert. Deren historischer Teil kann schon besichtigt werden. Das Mosaik der vielen Gruppen, die zusammen die Gemeinde bilden, wächst im Jubiläumsjahr zu einem zweiten Teil der Ausstellung.

Die Menschen, die hier eine Gemeinde gründen wollten, haben von Anfang an finanzielle und personelle Probleme bewältigen müssen. Sie haben sich immer wieder auf neue Rahmenbedingungen eingestellt und darauf besonnen, was für sie als katholische Christen persönlich grundlegend und für den Stadtteil notwendig war. Allen Widrigkeiten zum Trotz haben sie ihr Gemeindeleben entfaltet. Dies beschreibt Gerd Fölting als für ihn wichtigste Erkenntnis aus seiner Auseinandersetzung mit der Gemeinde- und Kirchengeschichte in Speldorf.

Gerd Fölting, Mitglied im Gemeinde-Sachausschuss 100 Jahre St. Michael, hat viel  Wissenswertes über das nunmehr 100 Jahre alte Kirchengebäude zusammengetragen.
Gerd Fölting, Mitglied im Gemeinde-Sachausschuss 100 Jahre St. Michael, hat viel Wissenswertes über das nunmehr 100 Jahre alte Kirchengebäude zusammengetragen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Heute: Kleinere, aber aktive Gemeinde

Er erlebt heute eine zwar kleinere, aber aktive Gemeinde, die Themen und Aufgaben aufgreift, die sich ihren Mitgliedern aufdrängen. Seit 1903 von Dechant Weyand und Pfarrer Coenen geplant, bremsten Insolvenzen von Investoren, die ablehnende Haltung des nationalliberalen Oberbürgermeisters Paul Lembke und kriegsbedingter Baustoffmangel den Kirchbau in Speldorf aus. Für den weiteren Ausbau zurückgelegtes Geld wurde in den 1920er Jahren von der Hyperinflation aufgefressen.

Deshalb wurde entgegen der Planung das Kirchenschiff erheblich gekürzt und der Kirchturm gestrichen. Nach der Ausgestaltung des Innenraums wurde St. Michael erst 1927 offiziell eingeweiht. Pfarrhaus, Kindergarten, Gemeindezentrum und Jugendheim entstanden erst schrittweise im Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte.

Arbeit bei der Reichsbahn im Eisenbahnausbesserungswerk

Die ersten Gemeindemitglieder von St. Michael, es waren bis zu 2000, arbeiteten bei der Reichsbahn im Speldorfer Eisenbahnausbesserungswerk, in Lederfabriken, in Gartenbaubetrieben und in Tonwerken. Katholische Arbeiterschaft und Kleinbürgertum, die St. Michael trugen, hatten nicht viel Geld, waren aber sehr einsatz- und spendenfreudig.

Kirche bleibt erhalten

Seit 2006 gehört die etwa 3000 Gläubige zählende Gemeinde St. Michael zur Linksruhr-Pfarrei St. Mariä Himmelfahrt.

Der Pfarreientwicklungsprozess (2015-2018) hat den langfristigen Erhalt der (2010-2012) renovierten Kirche an der Schumannstraße bestätigt.

Gemeindemitglieder pflegen Projekt-Partnerschaften mit der Ukraine und Tansania. Einige Gemeindemitglieder haben sich in der örtlichen Flüchtlingshilfe engagiert.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden katholische Jugendarbeit und Religionsunterricht in Schulen verboten. Deshalb wichen sie heimlich ins Pfarrhaus und in den Marienhof aus. Ein Schicksalsschlag für die Gemeinde war, dass fünf ihrer sechs Jugendgruppenleiter im Zweiten Weltkrieg fielen. Nach dem Krieg erwarb die Gemeinde von der Stadt die Baracken der Kindergärten der NS-Volkswohlfahrt für ihren katholischen Gemeindekindergarten und für den Wiederaufbau der kirchlichen Jugendarbeit.

Wiederaufbau der kirchlichen Jugendarbeit

Infolge der Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) wurde in der Kirche St. Michael der Altarraum abgesenkt und der Altar in Richtung der Gläubigen im Kirchenschiff verschoben. So wird deutlich, dass nach dem neuen Verständnis von Gemeinde als dem Volk Gottes nicht der Priester allein in lateinischer Sprache für die Gemeinde die Heilige Messe feiert, sondern mit ihr in deutscher Sprache.