Mülheim. Nach 26 Jahren ist Schluss: Mira Kujundzic und ihr Mann Stipan haben am Freitag zum letzten Mal ihren Kult-Kiosk am Lindgens-Areal geöffnet.
Wie immer ist Mira Kujundzic auch am Freitagmorgen um kurz nach drei Uhr aufgestanden, ist zu ihrem Kiosk an der Lederfabrik gefahren, hat Brötchen geschmiert, um 4.30 Uhr aufgeschlossen. Das Schild „Muttis Büdchen“ aufgehängt. „Normal“, sagt sie. Diesmal aber hat die lebenslustige Büdchenchefin doch eine Träne vergießen müssen. Denn heute ist der letzte Tag für den Kultkiosk zwischen Heuweg und Düsseldorfer Straße.
„Love more“ trägt Mira auf ihrer Bluse wie ein neues Lebensmotto – für mehr Liebe und das Leben ist ab morgen mehr Zeit. Und selbst der winterliche Ruhrgebietsregen, der für die Jahreszeit viel zu warm ist, scheint einen tröstenden Abschiedsreigen zu spielen: Es war eine gute Zeit – kein Bedauern, Blick nach vorne.
Mülheimer Kult-Kiosk: „Es war hier wie in einer Familie“
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Viel Schulterklopfen und Aufmunterung hat es am Freitag in dem Quader zwischen Steinbruch und Lederfabrik gegeben. „Um 10 Uhr war richtig voll“, sagt Ehemann Stipan. Viele gute alte Bekannte sind gekommen. „Mach’ doch weiter“, meinten manche von ihnen. Doch das Ende ist längst beschlossene Sache, der Kiosk wird abgerissen. Mattes Fischer – der letzte Mann und Verwalter in der geschlossenen Lederfabrik gegenüber – schaut mit seinem Kollegen Dirk Strehnisch vorbei. Der war in den 80er Jahren als Gerber in der Fabrik angestellt und seit den 90ern Stammkunde bei Mira. „Es war hier wie in einer Familie. Man ging in den Kiosk und war direkt willkommen“, sagt Strehnisch am Kaffee nippend.
Bienenstich, selbstgebackenen Apfel- und Streuselkuchen haben Mira und Tochter Andrea für die Gäste mitgebracht. Fischer reicht noch ein Löffelchen Nostalgie dazu: den alten Bebauungsplan von 1928. Da gab es zwischen Heuweg und Düsseldorfer Straße gerade einmal einen Fußweg, zeigt er. Fast jeden Tag ist Mattes Fischer hier vorbeigekommen. Wenn Mira geht, „dann muss ich mir meinen Kaffee selbst machen“, sagt er. Und es wird auch ein bisschen einsamer.
„Die Arbeiten haben sich gerne gegenseitig veräppelt“
Den Blick zurück unterbricht ein Handwerker, der zur Mittagszeit vorbeischaut: drei kalte Bier – das sind die letzten im Kühlschrank. „Schöne Feiertage.“ Und raus ist er. Auch das „Feierabend-Bier“ gehörte dazu, erzählt Tochter Andrea, „und der Spaß. Denn die Arbeiter haben sich natürlich auch gerne gegenseitig veräppelt, die nehmen kein Blatt vor den Mund“, erinnert sie sich mit einem breiten Lächeln daran zurück, wenn sie aushelfen musste. Das frühe Aufstehen allerdings war eine andere Sache …
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„Der Kiosk ist etwas Besonderes gewesen, sehr persönlich“, bestätigt Martin Markowky, der mit seinem Border Collie Paule vorbeigekommen ist, „und auch die Qualität war für ein Büdchen sehr gut“. Paule schielt zur fingerdicken Fleischwurst, die Mira bereits geschnitten hat, als beide nicht einmal die Straße überquert hatte. Routine. Und Herrchen Martin verlangt es nach einem Ei-Brötchen, „und wann – äh – trinkt ihr den restlichen Alkohol – ich frage nur für einen Freund“, schaut der grinsend auf die wenigen Flaschen Sekt und Bier, die noch verblieben sind.
Inventar wird in den nächsten Wochen abgeräumt
„Goldene Zeiten“ für Ruhrgebiets-Buden
Täglich von 4 bis 14 Uhr – Mira hat ihren Kiosk 1993 übernommen. Zuvor hatte sie 18 Jahre lang für AEG Telefunken an der Kölner Straße gearbeitet. „Ich wollte mein eigener Chef sein, aber nur für ein Jahr“, erzählt sie. Daraus wurden knapp 26.
Damals galten „goldene Zeiten“ für die Ruhrgebiets-Buden. Der lange Donnerstag war nur wenige Jahre alt. Die Ladenöffnungszeiten sollten erst 1996 auf 6 und 20 Uhr aufgeweicht werden. Und auch die Lederfabrik war eine wichtige Einnahmequelle für Mira. „Die Arbeiter standen teilweise den Heuweg hoch Schlange“, erinnert sich ein Stammkunde.
Doch die heranrückenden Discounter und durch den neuen Radweg abgebaute Parkplätze drückten in den letzten Jahren auf den Umsatz. Mira Kujundzic beschloss, den Kiosk aufzugeben.
Noch eine knappe Stunde bis 14 Uhr. Dann wird wie immer abgeräumt. Der Rest, das ganze Inventar von der Theke bis zum Kühlschrank, müssen die Kujundzics in den nächsten Wochen peu a peu abräumen. Der Vermieter lässt dafür zum Glück ausreichend Zeit.
„Für mich war es heute wie in einem Film“, blickt Chefin Mira in ihrem Reich umher, auf die wenigen Tafeln Schokolade, ein paar Zigaretten und Flachmänner. Der Abschied kündigt sich an: „Ich habe das noch gar nicht richtig wahrgenommen.“