Mülheim. Reinhard Fingerhuts hintergründige Werke wollen vom Betrachter erschlossen werden. Wie ein Kämmerer zum Künstler wurde, der Kraft porträtierte.

Fast wäre dieses Porträt in den NRW-Landtag gekommen. Was es ist? Künstler Reinhard Fingerhut lupft das kaschierende Leinen vorsichtig an wie einen heißen Topfdeckel. Enthüllt wird das Bildnis aber erst zur Vernissage am Sonntag in der Ruhr Gallery. Die Geschichte dazu ist längst kalt, sogar gegessen. Nur so viel: „Das Denken läuft selten in relevanten Bahnen, weil oft bescheuert gedacht wird.“

Von der analogen Welt zum digitalen Abbild und zurück

Das Querdenken ist Reinhard Fingerhut wichtig – seine Vorbilder: der Aufklärer Descartes und der Erfinder Leonardo. Nicht nur im Da-Vinci-Schwerpunktjahr der Ruhr Gallery passt das gut ins Konzept. „Da Vinci konnte extrem gut beobachten“, lobt Künstler Fingerhut. Von beiden erbt seine Kunst das Hintergründige und das Aufdecken von Zusammenhängen, die nicht augenscheinlich sind.

Fingerhut transformiert digitale Fotos zurück ins Digitale und öffnet das Bild wieder für neue Denkansätze.
Fingerhut transformiert digitale Fotos zurück ins Digitale und öffnet das Bild wieder für neue Denkansätze. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke


Ein digitales Foto bearbeitet er mit analogen Mitteln, indem er im Druckstock und in den Druck malt. Und gibt dem Bild so zurück, was das Digitale durch seine Abbildung der analogen Welt in endliche einzelne Bildpunkte zuvor abgezogen hat. Fingerhuts Transformationen vom Analogen ins Digitale und wieder zurück öffnen das Bild wieder für die Sinne und Fantasie des Betrachters.

Demokratische Kunst des Querdenkens

Die Provokation hat Perspektive: „Man muss seine eigene Geschichte darin finden“, fordert Fingerhut mit seinen „Verfremdungen“ das Querdenken geradezu ein, ermächtigt den Betrachter, sich das Werk selbst anzueignen. Ein demokratischer Akt, der sich logisch in seinen Skulpturen fortsetzt: Provokant stellt er zwei beschädigte und bemalte Styroporplatten in den Raum. Und erinnert an die anarchischen Objet trouvé, die die Alltagsobjekte spielerisch zur Kunst erhoben. „Ich will scheinbar wertlosen Gegenständen wieder neuen Sinn geben“, erläutert Fingerhut.

Die hohe Kunst des Verknüpfens von Zusammenhängen zu Erkenntnissen, die buchstäblich nicht offensichtlich sind, hat den Kunstschaffenden allerdings zunächst auf andere Wege geführt: zur Jura, ins Büro der Staatskanzlei NRW, zum Kämmerer, Stadtdirektor und Banker.

Vom Lächeln der Mona Lisa bis zum Niedergang von Kraft

Dort waren die Perspektiven des Querdenkers nicht immer gern gesehen. Und so wundert es kaum, dass Fingerhut auch in der Kunst kräftig aufmischt: „Die Kunst hat den Kampf um die Wohnzimmerwände zu leicht aufgegeben und stattdessen den Flachbildschirmen und gefälligem Dekor Platz gemacht“, plädiert er zugegeben markig dafür, dass Kunst nicht langweilig werden darf, zur Reflektion anregen muss. Das Lächeln der Mona Lisa ist für ihn ein ideales Beispiel: „Es ist subtil, androgyn – es verführt, darüber nachzudenken.“

Auch die ehemalige NRW-Ministerpräsidentin und Mülheimerin Hannelore Kraft hat Fingerhut seinem demokratischen Pinselstrich ausgesetzt: Ihrem roten Antlitz verpasste er eine grüne Frisur, die Oberfläche des Abbilds ist fleckig, beschädigt. Ein Porträt, das die Spuren aufzudecken scheint, die die Politik an dem Menschen hinterließ.