Mülheim. Als die Disco Grenzenlos im Mülheimer Ringlokschuppen startete, war Inklusion nicht in aller Munde. Was die integrative Feier so beliebt macht.

Gut 70 Menschen haben sich am Freitagabend unterm bunten Discolicht versammelt. Es wird getanzt, geklönt und Bier getrunken. Die Musik legt DJ Stefan auf: Charts – mit einem Block Schlager. Jennifer Spliethoff ist zum ersten Mal hier und überrascht: „Es ist sehr schön“, findet die 51-Jährige. Es könnten zwar noch mehr Menschen sein, aber auch die ausgelassene Atmosphäre stimme. Und dann macht sie sich mit ihrem Rollstuhl auf zur Tanzfläche in der Disco Grenzenlos im Ringlokschuppen.

20 Jahre Tanzen ohne Grenzen

Jeden zweiten Freitag im Monat startet im Schuppen die so genannte integrative Disco. Und dass seit runden zwanzig Jahren – fast ein respektables Jubiläum. „Integrativ“ hört ihr Mitinitiator und Regler-Mann Stephan Bevermeier allerdings mit gemischten Gefühlen. Denn eigentlich sei hier alles so, wie in jeder anderen Diskothek auch. Nur bei der Beleuchtung achtet der Regler-Bühnentechniker darauf, dass kein Stroboskop-Licht eingesetzt wird. „Das kann epileptische Anfälle provozieren“, erläutert Bevermeier.

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Für die Normalität sorgt nicht zuletzt der Aufbau des Ringlokschuppens: An diesem Freitagabend ist zeitgleich Kabarett. Und auf dem Weg zum großen Saal kommt jeder an der Grenzenlos vorbei, schaut neugierig hinein, lauscht der Musik, tanzt vielleicht ‘ne Runde. Für einen kurzen Augenblick vermischen sich beide Besuchergruppen. Normalität.

Mutiger Anfang lange bevor Inklusion in aller Munde war

„Es gibt in der Umgebung kaum etwas Vergleichbares“, sagt Bevermeier, der die Szene in den Nachbarstädten sehr gut kennt. Als der Grenzenlos-Macher vor zwanzig Jahren begann – als die Inklusion noch nicht als selbstverständlich galt – übernahm er ein Erbe. „Tanz ohne Grenzen“ nannte sich der zarte Anfang der Disco noch unter der Organisation des Vereins für Bewegungsförderung Gesundheitssport.

„Der gute Ansatz drohte aber einzuschlafen, die Besucher wurden weniger, auch weil die Mittel für Werbung gering waren“, schildert Bevermeier. Der arbeitete als Techniker etwa mit der Mülheimer Band „Spirit Steps“ zusammen, „ich hatte auch deshalb keine Berührungsängste“.

Wichtig war dem Regler-Mann, dass die Disco im Ringlokschuppen blieb, und nicht in ein Jugendzentrum wanderte. Und damit eine ganz normale Disco blieb wie andere auch. So organisierte Bevermeier private Sponsoren, machte Plakate und Flyer. Und taufte die Party um: Grenzenlos.

Bis zu 150 Besucher kommen jeden zweiten Freitag im Monat

Heute erreicht die Grenzenlos bis zu 150 Besucher, unter ihnen etliche Verbände und Einrichtungen, die von Duisburg und Dinslaken bis nach Bochum reichen. Ohne die tolle Unterstützung im Ringlokschuppen – bis heute – wäre der Neustart wohl nicht gelungen, lobt Bevermeier vor allem die Arbeit von Schuppen-Wirt Markus Dierks und der Gastronomie.

Damals servierte noch Isi – Ismael Omari – mit seiner Cuisine Nomade extra Pommes, denn die waren unter den Grenzenlos-Gästen gefragt. Doch auch das neue Restaurant Ronja stellt der Grenzenlos Fingerfood in Form von Kartoffelecken bereit. Der zweite Freitagabend im Monat von 19 bis 22 Uhr ist so Stück für Stück in den Ringlokschuppen integriert und eine Institution geworden. Genauso wie der halbstündige Schlagerblock zur Pflicht gehört: Ob mit Behinderung oder ohne – die Besucher stehen drauf.

Nur Mancher hat Sorge, stigmatisiert zu werden

So wie Guido Westermann. Der 36-Jährige ist Essener und seit fünf Jahren Stammgast. In der Regel kommt er mit sieben Leuten hierhin, weil ihm einfach die Musik gefällt. Eine andere Besucherin ist mit ihrer Gruppe aus dem Franz-Sales-Haus zum ersten Mal hier: „Ganz lustig hier“, findet sie – die Fahrt von Essen habe sich gelohnt.

Und doch: Natürlich ringt auch eine Grenzenlos mit dem Stigmata „Behinderung“, räumt Bevermeier ein: „Manche kommen nicht zu uns, weil sie Sorge haben, als Behinderte stigmatisiert zu werden. Aber eigentlich gibt es kaum einen Unterschied zur normalen Disco.“ Sicher – mehr Durchmischung von Menschen mit und ohne Behinderung in Diskotheken fände er auch gut. Das scheitert meist jedoch an der Barrierefreiheit. „Aber ohne eine Grenzenlos gäbe es: nichts.“