Immer weniger Ladendiebstähle in Mülheim? Die Leiterin eines großen Drogeriemarktes sieht das anders. Ein Interview.

Mülheim. Rund 560 registrierte Ladendiebstähle gab es im vergangenen Jahr in Mülheim, mehr als 90 Prozent wurden aufgeklärt. So weit die Bilanz der Polizei. Die Leiterin eines großen Drogeriemarktes, mit vielen Jahren Berufserfahrung in der Branche, plaudert im Interview einmal aus dem Nähkästchen. Ihren Namen möchte sie allerdings nicht öffentlich nennen.

Laut Polizeistatistik geht die Zahl der Ladendiebstähle in Mülheim seit einigen Jahren zurück. Ist das auch Ihr Eindruck?

Nein. Bei uns ist es einfach so, dass wir die Polizei nicht mehr rufen. Zumindest nicht bei normalen Diebstählen. Das kostet Zeit, Energie, Manpower, die wir nicht haben. Denn letztlich passiert gar nichts. Ein Kollege, der einen anderen Markt in Mülheim leitet, hat im vergangenen Jahr 431 Diebstähle angezeigt, fünf Fälle sind vor Gericht gekommen, in keinem einzigen gab es ein Urteil. Das ist ein Witz. Wir versuchen eher, Diebstähle zu verhindern.

Und wie?

Von unseren Kassen aus sieht man den Eingangsbereich. Wenn kritische Leute reinkommen, passen wir besonders auf. Ich bin einem Dieb auch schon mal selber hinterher gerannt, hab ihn an der Kapuze festgehalten und ihm den Rucksack abgenommen.

Wann haben Sie denn das letzte Mal die Polizei alarmiert?

Vor ungefähr einem Dreivierteljahr. Da wollte ein Pärchen für hundert Euro Babynahrung klauen, in einer präparierten großen Einkaufstasche, und wurde erwischt. Der Polizei waren die beiden auch bekannt. Später habe ich dann ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft bekommen, dass das Verfahren eingestellt wurde. Sie hätten den Wohnsitz der Leute nicht mehr ausfindig machen können.

Pärchen wollte in präparierter Tasche Babynahrung klauen

Die meisten Diebstähle werden vermutlich erst gar nicht bemerkt...?

Genau. Oft erwischen wir die Leute gar nicht. Erst wenn ein Regal längere Lücken aufweist, fällt es dann auf. Letzte Woche fehlten plötzlich zehn Packungen einer hochwertigen Gesichtspflege. Die Kollegin hatte am Samstag aufgefüllt, am Dienstag war alles leer.

Wer braucht zehn Packungen Gesichtscreme?

Vieles wird weiterverkauft, häufig auf Trödelmärkten. Da gehe ich schon gar nicht mehr hin. Die Waren, Rasierklingen zum Beispiel, sind oft mit einem Code gekennzeichnet oder tragen einen Stempel, an dem man erkennen kann, aus welchem Markt sie stammen. Dann ist ganz klar: Die müssen geklaut sein. Ich finde, man sollte die Beweislast umkehren. Die Händler auf Trödelmärkten müssten nachweisen, dass sie ihre Waren legal erworben haben.

Fast ein Drittel der Verdächtigen jünger als 21 Jahre

Als „aufgeklärt“ definiert die Polizei alle Fälle, die einer konkreten Person zugeordnet werden können - wenn beispielsweise jemand von einem Ladendetektiv erwischt wurde.

Im Vorjahr wurden nach dieser Statistik 519 Ladendiebstähle in Mülheim aufgeklärt und 469 Tatverdächtige ermittelt. Davon waren gut 30 Prozent jünger als 21 Jahre.

Auf Trödelmärkten werde „anlassbezogen“ kontrolliert, wenn der Verdacht besteht, dass Diebesgut verkauft wird, so eine Polizeisprecherin. Routinemäßig seien Beamte dort auch in Zivil unterwegs, wenn es um Plagiate oder Steuerrecht geht.

Was wird in Ihrem Markt am häufigsten gestohlen?

Alles, was einen höheren Wert hat. Düfte, Kosmetik, Rasierartikel.

Diese Artikel sind doch auch speziell gesichert. Bringt das nichts?

Viele Waren sind tatsächlich gesichert. Sichtbar oder unsichtbar. Teilweise haben wir auch abschließbare Glaskästen. In einigen Märkten gibt es schon ein System mit Hakenschlössern. Klar ist aber auch: Sobald Sie eine neue Sicherung entwickeln, erfindet jemand eine Möglichkeit, sie zu knacken.

Täglich etwa 60 Euro Verlust durch gestohlene Waren

Wie hoch sind Ihre Verluste durch verschwundene Waren?

Jeden Tag verlassen etwa 60 Euro an Warenwert den Laden. Das geht auf Kosten unseres Marktes. Ein Extra-Budget haben wir dafür nicht. Intern gilt der Richtwert: Alles unter einem Prozent Inventurverlust ist gut. Wir liegen zwar deutlich darunter, aber in der Masse ist es trotzdem zu viel.

Gibt es einen Fall, an den Sie sich besonders erinnern?

Uns hat mal eine Stammkundin beklaut, die vorher alle zwei Tage bei uns eingekauft hat. Das hat uns alle aus dem Konzept gebracht. Hätte sie einfach was gesagt, dass ihr gerade das Geld fehlt, dann hätte man bestimmt eine Möglichkeit gefunden. Aber dieser Vertrauensbruch… Wir haben sie dann ewig lange nicht mehr gesehen. Irgendwann ist sie noch mal gekommen, aber der Faden war zerrissen.