Mülheim. Für sein Engagement als Fluchthelfer zur Zeit des „Eisernen Vorhangs“ hat der Mülheimer Alexander Wiegand das Bundesverdienstkreuz bekommen.

In seinem Leben hat es sich der Mülheimer Alexander Wiegand nie leicht gemacht. Seine Erlebnisse haben ihn auch gezeichnet. Am Donnerstag wurde es für den 78-Jährigen noch einmal besonders bewegend: Für sein „selbstloses Engagement“ in der Fluchthilfe während des Kalten Krieges wurde Wiegand mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.

Oberbürgermeister Ulrich Scholten nahm die Ehrung in der historischen Rathausbücherei vor – im Namen des Bundespräsidenten, auf Vorschlag des NRW-Ministerpräsidenten. Besonders hervorgehoben wurde dabei Wiegands abenteuerlicher Lebensabschnitt Ende der sechziger bis Mitte der siebziger Jahre. Der gebürtige Solinger war damals als Speditionskraftfahrer im Transitverkehr zwischen West und Ost unterwegs. 1968 schmuggelte er erstmals eine junge Frau in seinem Lkw über die Grenze – die Ostberliner Freundin eines Arbeitskollegen. Sie musste auf einer Metallplatte unter dem Führerhaus ausharren.

1968 erstmals eine junge Frau im Lkw von Ost nach West geschmuggelt

In den folgenden Jahren half Wiegand mindestens 125 weiteren Flüchtlingen, den „Eisernen Vorhang“ zu überwinden, oft mit hoch riskanten Aktionen, stets ohne Honorar. 1972 wurde der junge Mann an der deutsch-tschechischen Grenze verhaftet und zu 26 Jahren Haft in der Tschechoslowakei verurteilt.

Wiedersehen in der Slowakei: Im November 2013 besuchte Alexander Wiegand den ehemaligen Wachmann Oldrich Prasil (li.), der ihm vor vielen Jahren bei der Befreiung aus einem tschechischen Militärkrankenhaus geholfen hatte.
Wiedersehen in der Slowakei: Im November 2013 besuchte Alexander Wiegand den ehemaligen Wachmann Oldrich Prasil (li.), der ihm vor vielen Jahren bei der Befreiung aus einem tschechischen Militärkrankenhaus geholfen hatte. © Wiegand

Viereinhalb Jahre davon musste er tatsächlich im Gefängnis verbringen, zeitweise als Zellengenosse des späteren Staatspräsidenten Vaclav Havel. Fast 400 Tage saß er in Dunkelhaft. Schwer krank ist Alexander Wiegand in jener Zeit geworden, wurde letztlich ins Lazarett verlegt. Zu seiner Freilassung am 1. September 1976 hat ein warmherziger Wachmann entscheidend beigetragen, der später ein enger Freund wurde. Wiegands Familie war allerdings zerbrochen und seine Gesundheit ruiniert. In Mülheim hat er dann vor mehr als vier Jahrzehnten neu angefangen.

Viereinhalb Jahre im Gefängnis, lange in Dunkelhaft

Seine beiden ältesten Söhne sind mittlerweile deutlich über Fünfzig. Einer von ihnen – Jörg – war bei der Verleihung des Verdienstkreuzes dabei. Alexander Wiegand, dem während der Zeremonie immer wieder die Tränen kamen, sprach ihn direkt an: „Du musstest damals viel leiden. Gut, dass wir wieder zusammengefunden haben.“ Der 78-Jährige dankte „allen Menschen, die an mich geglaubt haben. Ohne sie hätte ich es nicht geschafft.“

Das gilt nicht nur für die harten Jahre im Gefängnis, sondern ebenso für die hoffnungsvolleren Zeiten danach. Da Wiegand als Fernfahrer weit in Osteuropa herumgekommen war und die teils armseligen Verhältnisse dort kannte, engagierte er sich für schwerkranke Kinder und Jugendliche aus Weißrussland, die als Spätfolge der Tschernobyl-Katastrophe häufig Tumore entwickelt hatten. Mit Hilfe vieler Spender und Sponsoren holte Wiegand im Laufe der Jahre neun Kinder zu medizinischen Spezialbehandlungen nach Deutschland. „Alle sind gesund geworden“, sagt er heute, wenn auch teilweise erst nach langwieriger Therapie und mehreren Anläufen.

Medizinische Hilfe für tumorkranke Kinder aus Weißrussland

Was der Verdienstorden bedeutet

Der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland wird vergeben für politische, wirtschaftlich-soziale und geistige Leistungen sowie für alle besonderen Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland, beispielsweise im sozialen und karitativen Bereich. Verliehen wird er vom Bundespräsidenten, ausgehändigt meist von anderen Repräsentanten, etwa vom Oberbürgermeister.

Acht Stufen diese Auszeichnung gibt es: Verdienstmedaille oder Verdienstkreuz am Bande, wie Alexander Wiegend es erhält. Darüber hinaus folgen: Verdienstkreuz 1. Klasse, Großes Verdienstkreuz, Großes Verdienstkreuz mit Stern, Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband, Großkreuz und eine Sonderstufe des Großkreuzes. Mit Geld ist ein Verdienstorden aber nie verbunden.

Seit seiner Stiftung im Jahr 1951 wurde der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland schon mehr als 258.500 Mal verliehen.

Gemeinsam unter anderem mit der Mülheimer Caritas brachte Wiegand auch zahlreiche Hilfstransporte für bedürftige Familien in Weißrussland und der Ukraine auf den Weg. „Du bist ein wirklicher Held, und deine Kinder können stolz auf dich sein“, rief Herbert Kühn, der wie Alexander Wiegand der „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ angehört, bei der Feierstunde in den Raum. Eine zweite Familie gründete Wiegand in Mülheim, wurde im fortgeschrittenen Alter erneut Vater. Seine Tochter Maria (13) war bei der Verleihung des Verdienstkreuzes ebenso dabei wie sein jüngster Sohn Luis (10), der alles per Handyvideo festhielt.

Eine Rechnung, wenn man so will, hat der ehemalige Fluchthelfer und Häftling noch offen: Anders als Opfer von DDR-Unrecht bekämen Menschen, die in Gefängnissen anderer sozialistischer Staaten saßen, keine Opferrente, beklagt Wiegand. Gemeinsam mit anderen Betroffenen bemüht er sich immer noch um eine Entschädigung.