Mülheim. Die Villa Laetitia ist kein gewöhnlicher Ort: Hier leben acht alte Damen, die meisten an Demenz erkrankt, gemeinsam statt einsam. Ein Besuch.

Sich des Lebens freuen – ist zugegeben manchmal gar nicht so einfach. Doch wenn man zum Beispiel durch diese eine große Tür tritt, dort an der Adolfstraße, unter großen Bäumen, dann ist das alles spürbar. Die Freude, das Leben, die Zuwendung. Wir sind zu Besuch in der Villa Laetitia, einer ganz besonderen Wohngemeinschaft: Acht alte Damen leben hier, alle Mitte 80 bis 90 Jahre alt, die meisten von ihnen dementiell erkrankt. Alleine würden sie nicht mehr zurechtkommen, aber unter Mehreren, da blühen sie auf.

Im Sommer 2016 wurde die WG an der Mülheimer Adolfstraße eröffnet

Wie es sich für eine vernünftige Wohngemeinschaft gehört, spielt sich das Leben natürlich in der Küche ab. Nicht nur an diesem Morgen. Alles, vor allem aber dieser Raum, wirkt großzügig, die Gänge sind weit, die Zimmer der Bewohnerinnen offen, lichtdurchflutet. In der heute großen Wohnung hatte einst der Mülheimer Wohnungsbau seine Zentrale. Im Sommer 2016 wurde die Wohngemeinschaft eröffnet, durch die Kranken- und Altenpflege GmbH „Die Pflegepartner“. Mit einem festen Ziel: Schnell sollten die Bewohner, vielmehr ihre Angehörigen, über das Leben ihrer Elternteile an der Adolfstraße selbst bestimmen. Dabei gilt nach wie vor die einfache Formel: Selber Einfluss nehmen auf das Leben der Eltern, das ist ihnen wichtig.

Gaby Heim (links) lebt nicht mehr in Sorge um ihre Mutters, seitdem sie in der Villa Laetitia wohnt.
Gaby Heim (links) lebt nicht mehr in Sorge um ihre Mutters, seitdem sie in der Villa Laetitia wohnt. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

So wurde ein Angehörigenrat gegründet und mit ihm eine weitere Form der Demenz-WGs für Mülheim. In diesem Angehörigenrat sitzen, wie es der Name schon sagt, die Angehörigen der Damen, vor allem ihre Kinder. Sie kümmern sich um all die Dinge, um die sich gekümmert werden muss. Für alle pflegerischen Belange sorgt der Pflegedienst Die Pflegepartner – rund um die Uhr, an sieben Tagen in der Woche, meist mit drei bis vier Fachkräften. Und ermöglicht so ein ganz anderes Betreuungsverhältnis. Nicht zu vergessen die Kraft, die sich mit allem, was das Hauswirtschaftliche betrifft, beschäftigt. Sie alle schaffen in der Villa Laetitia geregelten Alltag, ohne zu starre Vorgaben.

„Für uns kam ein Heimplatz nicht in Frage“

20 Wohngemeinschaften mit 189 Plätzen

Plätze in Demenz-Wohngemeinschaften sind nicht nur in Mülheim sehr begehrt. Anbieterverantwortete Wohngemeinschaften müssen gesetzliche Standards einhalten (z.B. beim Personal), unterliegen auch der Regelprüfung durch Heimaufsicht und MDK. Dagegen sind selbstverantwortete Wohngemeinschaften frei in ihrer Gestaltung und Organisation.

Laut dem Tätigkeitsbericht der Heimaufsicht (Berichtszeitraum 2017/2018) gab es im Jahr 2018 in Mülheim 20 anbieterverantwortete Wohngemeinschaften mit 189 verfügbaren Plätzen, im Vorjahr waren es 13 WGs mit 125 Plätzen.

Die Betreuung in der Villa Laetitia ist laut den Angehörigen der acht Damen nicht teurer als ein normaler Heimplatz.

An diesem Morgen an der Adolfstraße, sind sie fast alle gekommen, die Töchter und Söhne der acht Bewohnerinnen. Und sie alle sagen: „Für uns kam ein Heimplatz einfach nicht in Frage.“ Gaby Heim erläutert: „Das hat hier etwas von einer großen Familie, die Fürsorge, das Miteinander, das Wohlbefinden stehen im Vordergrund.“

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Martina Schulten (im Bild mit ihrer Mutter), Sprecherin des Angehörigenrates der Villa Laetitia, sagt: „Wir sehen, dass viele der Bewohnerinnen hier noch einmal aufleben.“
Martina Schulten (im Bild mit ihrer Mutter), Sprecherin des Angehörigenrates der Villa Laetitia, sagt: „Wir sehen, dass viele der Bewohnerinnen hier noch einmal aufleben.“ © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Martina Schulten, Sprecherin der Wohngemeinschaft und des Angehörigenrates, fügt hinzu: „Wir sehen auch, dass viele der Bewohnerinnen hier noch einmal aufleben.“ In einer größeren Einrichtung wäre das vielleicht gar nicht möglich gewesen. Viele von ihnen hätten geschwankt, nach einem Zwischending gesucht: zwischen einer Betreuung zu Hause und einer im Heim. An der Adolfstraße haben sie es gefunden.

Die Angehörigen der WG-Bewohnerinnen fühlen sich entlastet

Wie die Zeit vergeht! Mittagessen. Heute gibt es Nudelauflauf, ist gleich fertig. Und dabei ist es diese angenehme, ja schon fast liebevolle Ruhe, die auffällt. Und das Lachen, zwischendurch und immer mal wieder. Frank Wessels Mutter lebt von Beginn an in der WG an der Adolfstraße – und wenn man mit ihm spricht, spürt man auch eine gewisse Erleichterung. Denn bevor seine Mutter in die Gemeinschaft zog, habe es immer mal wieder schlimme Abschnitte gegeben. Jetzt, da er um die gute Betreuung seiner Mutter weiß, fühlt er sich, wie die anderen auch, entlastet. Etwas, das auch Gaby Heim so empfindet. Sie lebt 50 Kilometer entfernt und erinnert sich: „Ich war ständig in Sorge um meine Mutter.“ Aber nun habe sie das Gefühl: „Das läuft jetzt alles.“

Und doch: „So eine WG zu gründen, ist nicht leicht“, weiß Frank Wessel. Es erfordert auch eine ganze Menge Engagement der erwachsenen Kinder, die doch eigentlich ihr eigenes Leben haben. Viele der Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Die tierischste in den vergangenen anderthalb Jahren war wohl die zu einem WG-Kater. Fafnir lässt sich an diesem Morgen leider nicht blicken. Von ihm wird allerdings gerne berichtet, „wie belebend“ er auf die Bewohnerinnen wirkt, wie gerne er von ihnen gestreichelt und geherzt wird. Fafnir setzt mit seinem bloßen Dasein wichtige Impulse. Das ist wichtig, gerade bei einer Demenz.

In der Villa Laetitia wurde kürzlich ein großes, buntes Sommerfest gefeiert. Bewohner und Angehörige machten so zusammen einen kleinen „Ausflug“ aus dem WG-Alltag.
In der Villa Laetitia wurde kürzlich ein großes, buntes Sommerfest gefeiert. Bewohner und Angehörige machten so zusammen einen kleinen „Ausflug“ aus dem WG-Alltag. © FUNKE Foto Services | Simon Kieser

„Ich schaue jetzt auf das, was geht“

Und Fafnir steht auch für die Freude am Leben, die so spürbar ist, in der WG an der Adolfstraße. Diese Freude, die Gaby Heim im Umgang mit ihrer Mutter so beschreibt: „Ich kann mit der Mama lachen, tanzen, singen und spazieren gehen. Ich schaue jetzt auf das, was geht – und nicht auf das, was nicht mehr geht.“