Mülheim. Peter Schumacher ist 2018 von einem Balkon des Mülheimer St.-Marien-Hospitals gestürzt. Es ist der zweite Fall, der nicht gemeldet wurde.

Eigentlich wollte Peter Schumacher mit dem Kapitel abschließen, trotz der Schmerzen und der Tatsache, dass er immer noch kaum laufen kann. Doch als er in der Zeitung liest, dass sich am 20. September eine Frau aus dem Fenster der geschützt geführten psychiatrischen Abteilung Maria I des St.-Marien-Hospitals in Mülheim gestürzt hat, kommt alles wieder hoch. Denn der 49-Jährige ist von einem Balkon der Station gestürzt – und wie im aktuellen Fall hat das Krankenhaus den Vorfall nicht der Polizei gemeldet.

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Am 26. Februar 2018 wird Peter Schumacher ins St.-Marien-Hospital eingeliefert. Die Trennung von seiner Frau habe ihn in eine Depression gestürzt, er nimmt eine Überdosis des Schmerzmittels Tilidin. Erst bringt man ihn zum Entgiften auf die Intensivstation, anschließend wird er auf Maria I eingewiesen. Heute, eineinhalb Jahre später, sagt er: „Maria I ist ein Abstellgleis.“

Peter Schumacher stürzt vom Balkon aus dem zweiten Stock

Von der Polizei gebrachte Drogenabhängige seien dort, Menschen, die kaum Herr ihrer Sinne sind. Peter Schumacher fühlt sich schlecht behandelt, bekommt starke Medikamente. Er will einen Mietvertrag für eine neue Wohnung ab dem 1. März unterschreiben, die Klinik habe ihn nicht zur Schlüsselübergabe entlassen. „Ich wollte einfach nur raus.“

Er ist im Beobachtungszimmer untergebracht, getrennt durch eine Glasscheibe vom Schwesternzimmer. Er öffnet das gekippte Fenster – „mit einem Ruck kann man es öffnen, wenn es gekippt ist“ –, will von dem kleinen Balkon davor nach unten klettern. „Ich habe mich verschätzt.“ Peter Schumacher stürzt ab aus dem zweiten Stock, bricht sich das Schienbein. „Distale Tibiafraktur rechts mit Weichteilschaden“, lautet die Diagnose. Und weiter: „Zustand nach Suizidversuch, Manie mit psychotischer Symptomatik, COPD, arterielle Hypertonie.“

Contilia: „Das Fenster aus der Wand gerissen.“

„Herr Schumacher hat das Fenster aus der Wand gerissen“, nimmt Lasse van de Sand, Referent der Geschäftsführung des Trägers Contilia, zu dem Fall Stellung. Es sei ordnungsgemäß gesichert gewesen und mit Gewalt geöffnet worden von Peter Schumacher, der sich in einer akuten Wahnvorstellung von Mördern verfolgt gefühlt habe – so stehe es im Bericht des zuständigen Psychiaters. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass jemand in einem akuten, paranoiden Anfall solche Kräfte entwickelt“, erklärt van de Sand und zitiert aus dem Arztbericht: „Der Patient war nicht suizidal, sondern versuchte, vor gewähnten Mördern zu flüchten.“

Peter Schumacher zeigt die Schrauben, die in seinem Bein nach dem Sturz verarbeitet wurden.
Peter Schumacher zeigt die Schrauben, die in seinem Bein nach dem Sturz verarbeitet wurden. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Aus diesem Grund unterscheide sich der Fall auch von dem der Frau am 20. September. Weil Peter Schumacher sich nicht selbst hatte töten wollen, weil er gewaltsam ein eigentlich gesichertes Fenster öffnete. „In dem aktuellen Fall wurde das Fenster mutmaßlich nicht abgeschlossen“, sagt van de Sand. Es gebe eine klare Regelung, wie mit einem „besonderen Ereignis“ bei Contilia umgegangen wird; ein solches sei der Sturz von Peter Schumacher gewesen. Die Geschäftsführung entscheidet über das weitere Prozedere – in diesem Fall, nicht die Polizei zu verständigen. „Weil sich der Sachverhalt klar dargestellt hat“, begründet van de Sand diese Entscheidung.

Mülheimer Polizei: Fall hätte gemeldet werden müssen

Dem widerspricht die Mülheimer Polizei. „So ein Fall sollte gemeldet werden“, sagt Sprecher Christoph Wickhorst, „damit wir abklären, ob eine Straftat vorliegt“. Die Polizei müsse die ersten Ermittlungen vornehmen, könne dann gegebenenfalls auch zügig zu dem Schluss kommen, dass der Fall strafrechtlich irrelevant ist. Zumal sich der Abschlussbericht des Krankenhauses, in dem Peter Schumacher nach dem Sturz noch sechs Wochen bleiben und dreimal operiert wird, anders liest als der von van de Sand zitierte Bericht des Psychiaters: „Der Patient war im Rahmen eines zweiten Suizidversuchs aus dem zweiten Stock der psychiatrischen Abteilung gesprungen“, heißt es darin.

Warum diese Diskrepanz zwischen den internen Darstellungen? „Intensivmediziner und Chirurgen sind keine Psychiater“, sagt van de Sand. Da könne es einen Kommunikationsfehler gegeben haben. „Wir haben die Entscheidung, den Fall nicht der Polizei zu melden, auf Basis der Schilderungen des Psychiaters getroffen.“

Peter Schumacher lebt heute von Hartz IV

Peter Schumacher erstattet nach dem Sturz keine Anzeige. Er kommt zunächst auf die Intensivstation, wird in den folgenden Monaten letztlich zwölfmal operiert. Heute lebt er von Hartz IV. Seinem Beruf als Gas-Wasser-Installateur werde er vermutlich nie wieder nachgehen können. „Das ist das Schlimmste.“ Er bewegt sich nur beschwerlich auf Krücken, sein Bein verheilt schlecht. Verarbeitet hat er den Sturz, die Operationen, die Behandlung noch nicht: „Es kommt jetzt alles wieder hoch.“