Mülheim. Über Konsequenzen aus dem Missbrauchs-Skandal in der Kirche wurde in der katholischen Akademie Die Wolfsburg in Mülheim lebhaft debattiert.
„Die katholische Kirche befindet sich in ihrer dramatischsten Krise seit der Reformation“, sagte der Generalvikar des Bistums Essen, Klaus Pfeffer, am Dienstagabend bei einer Diskussion in der katholischen Akademie Die Wolfsburg in Mülheim. Thema des Gesprächs, das er mit dem Pastoralpsychologen Wolfgang Reuter und etwa 100 engagierten Katholiken aus dem Ruhrbistum führte, waren die Konsequenzen, die die katholische Kirche aus den Missbrauchsfällen in ihren eigenen Reihen ziehen muss.
Forderung nach einem offiziellen Schuldbekenntnis der Bischofskonferenz
„Offene Gespräche wie am heutigen Abend wirken heilsam“, betonte der Theologe und Psychologe Wolfgang Reuter. Er zeigte Verständnis für die Forderung nach einem offiziellen Schuldbekenntnis der katholischen Bischofskonferenz angesichts der über viele Jahre gedeckten Missbrauchstäter im Priesteramt.
Immer mehr Kirchenaustritte
Rund 216.000 Katholiken, 30 Prozent mehr als im Jahr zuvor, haben 2018 in Deutschland ihre Kirche verlassen. Im Bistum Essen waren es 5526 und in der Stadt Mülheim 402 Personen.
Laut der 2018 vorgestellten MHG-Studie sind seit der Bistumsgründung 1958 insgesamt 85 Menschen von Priestern des Bistums missbraucht worden. 19 dieser Täter wurden strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen. Weitere 41 gelten als Beschuldigte.
Er warnte aber davor, von einem solchen Schuldbekenntnis zu viel zu erwarten. „Vielmehr sind wir alle an unserer Stelle gefragt, was wir tun können um sexuellen Missbrauch und Machtmissbrauch in der Kirche, aber auch in unserer gesamten Gesellschaft zu verhindern“, sagte Reuter.
Angesichts der Debatte über den Umgang mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche, aber auch über die Frage, ob es zur Abschaffung des priesterlichen Pflichtzölibats und zur Einführung des Frauenpriestertums kommen könne, sprach Generalvikar Pfeffer von einem offenen Machtkampf in der katholischen Weltkirche. Er machte keinen Hehl daraus, dass ihm selber nicht ganz klar sei, wer im Vatikan dabei welche Rolle spiele.
Offener Machtkampf in der katholischen Weltkirche
Pfeffer hatte bereits im vergangenen Jahr bei der Vorstellung der MHG-Missbrauchsstudie gesagt: „Ich schäme mich für meine Kirche und ich bin unendlich traurig.“ Auf die Frage einer Mutter, was sie ihrem 16-
jährigen Sohn sagen solle, der sie gefragt habe, wo er seine Taufe zurückgeben könne, mussten Reuter und Pfeffer eingestehen: „Da gibt es keine einfache Antwort. Da müssen Sie sich selbst fragen, was Sie in ihrem Herzen in der katholischen Kirche und in ihrer frohen Botschaft der Nächstenliebe hält.“
Ein Priester aus Bottrop brachte es auf den Punkt: „Auch die Kirche ist manchmal ein Saftladen, aber sie hat eine echte gute Botschaft, und wir brauchen den Laden, um unseren Glauben und seine Verkündigung organisieren zu können.“ Der selbe Priester berichtete, dass ihm im Laufe der letzten Jahre gleich drei charismatische und bei den Gläubigen sehr beliebte Priester begegnet seien, bei denen sich inzwischen herausgestellt habe, dass sie sexuellen Missbrauch begangen hätten.
„Auch die Kirche ist manchmal ein Saftladen“
Generalvikar Pfeffer machte deutlich, „dass sich viele katholische Priester schwer tun, sich von ihrem über Jahrzehnte eingeübten und religiös aufgeladenen beruflichen Selbstverständnis zu verabschieden“. Pastoralpsychologe Reuter forderte alle Katholiken auf, sich von ihrem Priester zentrierten Glaubens- und Kirchenverständnis zu lösen.
Eine pensionierte Pädagogin sprach sich im Rahmen der Diskussion in der Wolfsburg dafür aus, die Liturgiereformen kritisch zu überdenken, den Zölibat abzuschaffen und die Priesterweihe für Frauen zuzulassen, um der gesellschaftlichen Wirklichkeit Rechnung zu tragen.