Mülheim. Rund 1,8 Millionen Euro gibt die Stadt jährlich für ihren Politikbetrieb aus. Dabei bestimmen Fraktionen selbst, was sie an Zuwendungen erhalten.
Demokratie ist auch in Mülheim ein hohes Gut: Rund 1,8 Millionen Euro hat die Stadt 2018 ausgegeben, um politische Fraktionen, Gruppen und einzelne Stadtverordnete mit Büros und Personal auszustatten sowie um Mitgliedern des Rates und seiner Gremien so genannte Aufwandsentschädigungen zu zahlen.
Ratsmitglieder entscheiden selbst über ihre Zuwendungen
Dabei bestimmen die Ratsmitglieder selbst, in welcher Höhe politische Fraktionen, Gruppen und einzelne Stadtverordnete Mittel erhalten. Fraktionen sollen mit einer angemessenen Mindestausstattung ihren verfassungsrechtlichen Auftrag wahrnehmen können, bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung in der Vertretung mitzuwirken. So sieht es die Gemeindeordnung NRW § 56 Absatz 2 und 3 vor. Allein den haushaltsrechtlichen Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit muss der Rat bei diesem Ermessen berücksichtigen.
In der seit Jahren am Nothaushalt vorbeischrammenden Ruhrstadt allerdings kannte diese Ermessensfrage stets nur eine Richtung: nach oben. 1,808 Mio Euro muss Kämmerer Frank Mendack bereits 2020 einplanen, 2021 sind es schon 1,825 Mio Euro. Rund die Hälfte davon machen laut Haushaltsplan für 2019 die Zuwendungen für Fraktionen aus. Konkret sind es 871.997 Euro.
Zuwendungen für neue Fraktion „Bündnis für Mülheim“ noch nicht klar
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Demnach verfügt die SPD als stärkste Fraktion (19 Mitglieder) über 246.823 Euro, CDU (12): 192.420, Grüne (6): 106.878, BAMH (6): 90.532, MBI (3): 67.821, FDP (3): 63.149 Euro. Wieviel der neuen Fraktion „Bündnis für Mülheim“ zustehen wird, ist noch nicht beschlossen. Verweigern kann der Rat der neuen Fraktion die Mittel nicht. Die Stadt erwartet jedoch „keine wesentlichen Änderungen im Kostenvolumen, da demgegenüber die Aufwendungen für eine Ratsgruppe und zwei fraktionslose Stadtverordnete entfallen könnten“, so die Stadtverwaltung auf Anfrage der Redaktion.
Wie wenig kritisch der Rat die Erhöhung der eigenen Mittel begleitet, kann man in der Ratssitzung vom 11. Oktober 2018 nachverfolgen. Dort beschlossen die Stadtverordneten, die Berechnungsgrundlage für Zuwendungen an Fraktionen anzupassen an die Lohnsteigerung der kommunalen Tarifbeschäftigten. Waren die Steigerungen der Mittel zuvor noch auf 0,3 bis 1,8 Prozent festgelegt, liegen sie nun laut Auskunft der Stadtverwaltung bei 2,3 bis 2,8 Prozent. Mit bis zu 8000 Euro zusätzlich pro Jahr muss der Kämmerer fortan rechnen.
50.000 Euro mehr für Fraktionen in drei Jahren
Im Haushaltsplan 2019 hatte Frank Mendack vorsorglich die Ausgaben für Zuwendungen prognostiziert: 2020 rechnet er bereits mit 889.037 Euro, 2021 mit 906.818, 2022 mit 921.124 Euro. Innerhalb von drei Jahren steigen somit die Fraktionsmittel um 50.000 Euro.
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Den Zuschlag für das eigene Fraktionskonto gab es damals ohne viel Palaver im Parlament: „Die Beschlussfassung erfolgte einstimmig“, heißt es im Sitzungsprotokoll vom 11. Oktober 2018 knapp auf einem Seitenviertel. Vergleichsweise anders die anschließende Debatte zu TOP 5.1 und der „Aktuellen Situation nach der Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gegen Oberbürgermeister Ulrich Scholten wegen des Verdachts der Untreue“, die sich auf acht Seiten Niederschrift erstreckt. Dabei ging es um den fehlenden Nachweis für Geschäftsessen von 3000 Euro.
915.000 Euro für Rats- und Bezirksvertretungsmitglieder
Nicht in allen Fällen kann die Politik ihre Zu- und Aufwendungen selbst bestimmen. So erhöhte sich 2017 die Summe für „politische Anliegen“ im Haushalt um gut 140.000 Euro von 1,576 auf 1,719 Mio Euro. Der überwiegende Teil jedoch betraf die Aufwendungen für die so genannten Aufwandsentschädigungen. Sie wurden um ca. 99.000 Euro erhöht. 915.500 Euro zahlte die Stadt Mülheim 2019 den Mitgliedern des Rates und seiner Gremien sowie der Bezirksmitglieder, 2020 werden es laut Haushaltsplan 924.655 Euro sein.
Diese Entschädigungen der Mitglieder kommunaler Vertretungen und Ausschüsse sind landesgesetzlich geregelt. Bestimmen können die Stadträte sie nicht. Sie richten sich nach der Größe der Kommunen, im Fall Mülheim also Städten zwischen 150.001 und 450.000 Einwohner, beziehungsweise angepasst an die Einwohnerzahl der Stadtbezirke.
Bis zu 30.000 Euro Aufwandsentschädigung im Jahr kann ein Fraktionsvorsitzender erhalten
Die pauschale Aufwandsentschädigung erhält ein Ratsmitglied monatlich und unabhängig davon, ob eine Sitzung auch stattfindet. Hinzu kommt: Die Entschädigungsverordnung im Landesgesetz regelt auch die Entschädigungen der Fraktionsvorsitzenden, ihrer Stellvertreter, der Bürgermeister und Bezirksvorsteher. Der Vorsitzende einer Fraktion mit mehr als acht Mitgliedern erhält zu seiner Aufwandsentschädigung monatlich noch einmal die dreifache Pauschale.
Sparpotenzial Fraktionszuwendungen?
Auch im neuen Haushaltsplan 2020 wird händeringend nach Sparpotenzialen gesucht. Wäre es möglich, dass die Politik beschließt, die Zuwendungen für alle Fraktionen, Gruppen und einzelne Stadtverordnete zu senken, um Kosten für die Stadt zu sparen? Immerhin geht es hier um jährlich gut 900.000 Euro. Allein ein Verzicht auf zehn Prozent, machte rund 90.000 Euro aus.
„Grundsätzlich ja“, antwortet die Stadt auf Anfrage. Nur: Dass es bei den Zuwendungen für Fraktionen und Gruppen einmal Nullrunden oder gar Einsparungen gegeben habe, ist nicht bekannt. Demokratie ist ein hohes Gut – und manchmal auch ein teures.
Für das oft beschworene „Ehrenamt Politik“ können so durchaus suffiziente Summen zustandekommen. So erhält etwa der Vorsitzende der aktuell größten Ratsfraktion SPD, Dieter Spliethoff, eine jährliche Aufwandsentschädigung von 28.633,20 Euro und ein Sitzungsgeld von 2050,30 Euro. Die Kollegin der CDU, Christina Küsters, landet bei 22.660,80 Euro und 2679,60 Euro Sitzungsgeld. Selbst die Vorsitzenden deutlich kleinerer Fraktionen wie MBI-Mann Lothar Reinhard, Grünen-Chef Tim Giesbert und BAMH-Mann Jochen Hartmann wurden jeweils mit 16.688,40 Euro im Jahr 2018 entschädigt.