Mülheim. Alleinerziehende Mütter leben oft von Sozialleistungen. Drei Mülheimerinnen erzählen, wie sie und ihre Kinder den Alltag bewältigen.

Armut in Mülheim muss man nicht lange suchen, und vor einigen Monaten hat die folgende Zahl besonders aufgeschreckt: Fast ein Drittel der Kinder unter sechs Jahren wächst mit Sozialleistungen auf. Vielfach sind es alleinerziehende Mütter, die sehr wenig Geld für sich und ihren Nachwuchs haben. Kinderreiche Mülheimerinnen wie Frau H., Frau W., und Yvonne S., die wir im Diakoniewerk Arbeit & Kultur getroffen haben. Eine hat ihre 17-Jährige Tochter mitgebracht, Michelle S.

Sie alle haben sich sofort zum Interview bereit erklärt, warum eigentlich?

Frau H.: Um den Leuten da draußen klar zu machen, wie es ist, wenn man von Hartz IV leben muss. Wenn dein ältester Sohn, der eine Ausbildung macht, vor dir steht, und nicht mal Geld hat für Schuhe. Die

Ausbildungsvergütung wird auf die Leistungen für die Bedarfsgemeinschaft angerechnet, so lange die Kinder zu Hause wohnen.

Begegnen Ihnen oft Vorurteile, weil Sie von Sozialleistungen leben?

Frau H.: Mit Hartz IV ist man sofort abgestempelt. Das fängt an bei der Wohnungssuche, den Nachbarn. In der Schule fand ich es ganz schlimm. Meine Kinder sind krass ausgegrenzt worden.

Michelle S.: Zu mir hat mal eine Schulfreundin gesagt: „Wenn du von Hartz IV lebst, will ich nicht mehr mit dir befreundet sein.“ Bei den meisten meiner Freunde ist es anders: Die haben zwar mehr Geld als wir, aber Verständnis dafür, dass wir uns nicht so viel leisten können.

Frau W.: Beim ersten Elternabend an der Grundschule hat die Klassenlehrerin am Ende gesagt: Wer den Mülheim-Pass hat, soll nach vorne kommen, von allen anderen wollte sie das Büchergeld in bar einsammeln.

Frau W., alleinerziehende Mutter von drei Kindern, arbeitet beim Diakoniewerk in Mülheim für 1,50 Euro pro Stunde. Hier sortiert sie gespendetes Spielzeug.
Frau W., alleinerziehende Mutter von drei Kindern, arbeitet beim Diakoniewerk in Mülheim für 1,50 Euro pro Stunde. Hier sortiert sie gespendetes Spielzeug. © FUNKE Foto Services | Nikolina Miscevic

Das fand ich heftig.

Wie haben Sie reagiert?

Frau W.: Da wir in der schlimmsten Gegend von Styrum wohnen, sind fast alle nach vorne gegangen. Nur eine Familie konnte die Bücher selber bezahlen.

Frau H.: Das war bei uns in Saarn genau andersherum.

Momentan sind Sommerferien. Ist für Ihre Kinder Urlaub möglich?

Frau W.: Unser Urlaub sieht so aus: Vier Jahreskarten für den Movie-Park. Man muss die günstigsten Angebote abpassen.

Aber Verpflegung im Freizeitpark ist doch richtig teuer...

Frau W.: Essen und Trinken muss man natürlich selber im Rucksack mitnehmen, sonst ist das utopisch.

Frau H.: Großer Traum meiner Kleinen ist, mal in den „Zoom“ nach Gelsenkirchen zu fahren. Aber das ist nicht drin. Zwei meiner Kinder sind gerade auf Ferienfreizeit in Österreich mit dem Café Fox, dem besten Jugendzentrum überhaupt. Unser zweites Wohnzimmer. Pro Kind muss ich für die Reise nur 50 Euro zahlen.

Bekommen Ihre Kinder Taschengeld?

Alle: Ja.

Yvonne S.: Festes Taschengeld muss einfach möglich sein, damit die Kinder lernen, mit Geld umzugehen. Zum Muttertag haben sie mich eingeladen, chinesisch essen zu gehen. Das war total süß.

Wenn dir jemand 500 Euro schenken würde, Michelle, einfach so zum Ausgeben, was würdest du dir kaufen?

Michelle S.: Schuhe von Nike. Die kosten leider 90 Euro. Und ansonsten Anziehsachen.

Zahnspange wird in Raten abbezahlt

Wo fehlt das Geld im Alltag besonders?

Frau W.: Bei der Kleidung. Die Kleinen sind noch mit Second-Hand-Klamotten zufrieden. Aber mein Großer fängt jetzt langsam an, auf Marken zu gucken.

Frau H.: Oder Playstation, Handy. Manches sparen sich die Kinder auch selber von ihrem Taschengeld zusammen. Meine große Tochter kam jetzt mit Schuhen, die haben ein Riesenloch in der Sohle. Sonst hat sie nur noch Flipflops, die kann sie schlecht zur Arbeit anziehen. Da ich aber die anderen gerade in die Ferienfreizeit geschickt habe, hatte ich noch nicht mal 25 Euro für Schuhe von Deichmann.

Was haben Sie gemacht?

Frau H.: Ich musste mir das Geld von meiner Mutter leihen. Mit schlechtem Gewissen, denn sie hat auch nur eine kleine Rente.

Frau W.: Man verzichtet selber auf vieles, zugunsten der Kinder.

Yvonne S.: Meine Tochter braucht eine besondere Zahnspange, da hatten wir jetzt Zusatzkosten von über 300 Euro, weil nicht alles von der Krankenkasse erstattet wird. Zum Glück dürfen wir das in Raten abzahlen, das macht auch nicht jeder Kieferorthopäde. Sind aber auch wieder 50 Euro extra im Monat, ein halbes Jahr lang.

Fehlzeiten im Job wegen kranker Kinder

Sie sind gelernte Friseurin. Warum arbeiten Sie nicht mehr in diesem Beruf?

Yvonne S.: Das möchte ich nicht mehr. Mein Problem ist auch nicht, dass ich keinen Job finden würde. Ich hätte zum Beispiel sofort in einer Bäckerei arbeiten können. Bei mir liegt es an den Anfangszeiten. Ich möchte nicht, dass meine Kinder sich morgens alleine zur Schule fertig machen müssen. Dafür hat man keine Kinder. Aber ich arbeite ja freiwillig hier beim Diakoniewerk und will das auch unbedingt. Wir sitzen alle nicht zu Hause und warten, bis am Monatsende wieder Geld kommt.

Frau W.: Allerdings wird man nur bezahlt, wenn man tatsächlich hier ist. Meine Kinder sind alle gesundheitlich beeinträchtigt, da falle ich bei der Arbeit öfter aus.

Frau H.: Ich war jetzt selber länger krank. Die 37,50 Euro, die ich Ende der Woche bekomme, fehlen da schon.

Michelle S.: Aber obwohl wir uns teure Sachen nicht kaufen können: Eigentlich geht es uns gut, wir haben alles, was wir brauchen. Man wächst da so rein.

Yvonne S.: Ich sage mir auch: Wichtig ist, dass wir als Familie zusammenhalten und ein gutes Verhältnis haben.

Was müsste sich ändern, um die Kinderarmut zu lindern?

Frau H.: Man sollte bei der Anrechnung umdenken, beispielsweise nicht das Ausbildungsgehalt der Kinder auf das Sozialgeld anrechnen. Der Sohn von Bekannten hat aus dem Grund sogar seine Lehre abgebrochen.

Yvonne S.: Man muss quasi den eigenen Kindern das erste selbst verdiente Geld abnehmen, zumindest den Teil, der einem abgezogen wird. Da fühlt man sich als Mutter echt mies. Und warum zum Teufel rechnen sie das komplette Kindergeld an?