Mülheim. Jahrelang wurde der Wunderbaustoff auf Baustellen verarbeitet. Die Krebsgefahr lauert auch in Bodenbelägen und Klebern. Wie bannt man das Risiko?
Als unser Fliesenleger unser Bad betrat, entfuhr dem Handwerker mit 30 Jahren Berufserfahrung nur ein klagendes „Oh, mein Gott.“ Dieser Seufzer hatte einen doppelten Grund. So erschien ihm der Farbenreichtum in unserem mit rund drei Quadratmetern gefühlt kleinstem Badezimmer der Welt sicher zu gewagt. Seine Kollegen haben die Wände inzwischen in einem knalligen Zitronengelb gestrichen. Aber unseren Mut zur Farbe kennt er schon, schließlich haben wir bei ihm rote, gelbe, blaue und grüne Fliesen für Küche, Bad und Toilette bestellt.
Sein Blick richtet sich aber auf die grauen, mit schwarzen und weißen Sprenkeln durchsetzten Bodenplatten. „Da könnte Asbest drin sein“, sagte er sachlich-nüchtern.
Da schrillen die Alarmglocken
Bei dem Namen Asbest schrillen bei uns freilich die Alarmglocken. Eine fachgerechte Entsorgung ist teuer und aufwändig, aber aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich. Der Stoff ist hochgradig krebserregend. Dass dieser einst als Wunderbaustoff gerühmte Rohstoff auch in Kleber und Bodenbelag Verwendung fand, war uns allerdings neu. Jahrzehntelang stand Asbest wegen seiner besonderen Eigenschaften und vielfältigen Möglichkeiten in der Bauwelt hoch im Kurs.
Er wurde für Fassadenplatten ebenso verwendet wie in Nachtspeicheröfen und Dachschindeln. In 3000 Produkten wurde der Stoff eingesetzt und in Gebäuden aus den 50er bis 80er Jahren dürfte er noch immer allgegenwärtig sein, warnen Experten. Fast drei Viertel der Masse ging in Zement. Stiftung Warentest geht davon aus, dass 80 Prozent des einst verbauten Materials noch immer in den Gebäuden schlummert, aber nicht zu Panik Anlass gibt, solange man sie nicht bearbeitet. Vor allem in Fassadenplatten ist der Schadstoff zu finden. Sie sind so stark verbreitet, dass der Hersteller Eternit zum Synonym für das Produkt wurde wie Tempo für Papiertaschentücher.
Wie ein Sondereinsatzkommando
Schon einmal war im Vorfeld unserer Sanierungsarbeiten der Name Asbest gefallen, aber schnell und scheinbar sicher wieder vom Tisch gewischt. Unser Schreiner hatte uns auf die mögliche Gefahr aufmerksam gemacht. Nach einer Erkrankung eines Kollegen an Asbestose ist er für dieses Thema besonders sensibilisiert. Jährlich erkranken etwa 2000 Menschen, von denen 70 Prozent das erste Jahr nicht überleben. In Absprache mit unserem Generalunternehmer wollten wir den Problemstoff unter einer dicken Estrichschicht beerdigen.
Aber nun schüttelt der Fliesenleger den Kopf. Eine dicke Estrichschicht ist kein Leichtgewicht und könnte für die Decke in unserem fast 120 Jahre alten Paul zu schwer werden, fürchtet er. Jetzt müssen wir umdenken. Aber eine Großeinsatz zur Schadstoffbeseitigung, der an eine Mischung aus Sondereinsatzkommando und Ghostbusters erinnert, erscheint uns für die rund vier Quadratmeter in Toilette und Bad für unverhältnismäßig hoch. Er ist zudem eine enorme finanzielle Belastung. Aber wir wissen noch nicht einmal, ob Fliesen oder Kleber tatsächlich kontaminiert sind. Das bedeutet freilich nicht, die gesundheitlichen Gefahren, großspurig zu übergehen, denn damit würden wir auch leichtfertig Dritte gefährden. Wir staunen schon, dass uns auf der Suche nach geeigneten Lösungen, von Handwerkern, die wir anfragen, tatsächlich ernsthaft vorgeschlagen wird, in einer Hau-Ruck-Aktion den Boden rauszureißen, was verboten ist.
Seit 1993 ist Asbest verboten
Schon um 1900 wurde die Asbestose als Krankheit entdeckt, 1943 als Berufskrankheit anerkannt und Asbest bereits 1970 als krebserregend eingestuft. Es dauerte doch noch ein knappes Vierteljahrhundert, ehe der Wunderstoff 1993 endlich verboten wurde. In der EU ist der Stoff sogar erst seit 2005 komplett tabu. Da die Fasern nur drei Tausendstel Millimeter groß und damit für das bloße Auge unsichtbar sind, wird die Krebsgefahr oft bagatellisiert. Vor allem dauert es oft über 30 Jahren, bis die Krankheit nach einer extrem langen Latenzzeit ausbricht.
Ein großer Kostenfaktor
Die Asbestbeseitigung ist auch ein großer Kostenfaktor, insbesondere, seitdem die Anforderungen, die an eine Asbestsanierung gestellt werden, vor sechs Jahren in NRW erheblich verschärft wurden. Musste man für den fachgerechten Ausbau für eine 65 Quadratmeter große Fläche vor 2012 noch rund 2600 Euro auf den Tisch legen, so haben sich die Kosten seitdem vervierfacht. Bei winzigen Flächen wie den unseren von unter fünf Quadratmetern wird es nicht viel günstiger. Der Aufwand für Abschottung, Schleusen, Schutzkleidung und die Bereitstellung der Sauger zur Reinigung der Luft bleibt vergleichbar hoch. Geregelt ist all dies in einer strengen Technischen Regel der Gefahrstoffverordnung: der TRGS 519. Hinzu kommt noch zeitliche Aufwand. Die Behörden müssen informiert und eingebunden werden, Proben genommen, verschickt und analysiert werden. Zeitlich können wir uns einen Stillstand auf der Baustelle nicht leisten.
Schon die normale Umgebungsluft enthält eine geringe Asbest-Konzentration. Sie schwankt je nach Ort zwischen 50 und 200 Asbestfasern pro Kubikmeter Luft. Durch Bohren, Sägen, Schleifen oder anderen Bearbeitungsformen der Oberfläche kann die Konzentrationen dann auf über 100.000 Fasern hochschnellen. Eine einfache Schutzmaske reicht, so ist zu lesen, bei weitem nicht.
Inzwischen kann uns unser Fliesenleger auch eine passende Lösung präsentieren. Mit einer dünnen Entkopplungsmatte lässt sich der Schadstoff beerdigen. Das ist günstig, der Aufwand überschaubar und wir haben keine große Stufe an der Türschwelle. Aber im Altbau sind Wände und Böden schief. Das macht von einer zur anderen Wand stattliche zweieinhalb Zentimeter.
Eine Farbe fürs Gemüt
Als eine Kollegin von unserem mutigen Farbkonzept erfährt, zieht sie sogleich begeistert die Parallele zu Goethe. Der Dichterfürst hatte in seiner Weimarer Wohnung, seiner Farbenlehre folgend, für jeden Raum eine Farbe vorgesehen, deren Wirkung auch auf das Gemüt abgestimmt war. So soll im Empfangssaal ein kräftiges Gelb für „eine heitere, muntere, sanft reizende“ Stimmung sorgen, lesen wir im Netz. Genau das wünschen wir uns in unserem Badezimmer. Jetzt werden wir uns auch Goethes Fußmatte mit der Aufschrift „Salve“ vor die Haustür legen.