Mülheim. . Bei der Sanierung unserer Jugendstilwohnung erleben wir unangenehme Überraschungen, die die Kosten treiben. Diese Überraschung ist aber positiv.
So müssen sich die Goldgräber am Klondike gefühlt haben, als im Sieb zwischen dem Sand die ersten Goldkörnchen funkelten. Bei uns sind es zarte Lilienformen in Gips und andere florale Muster, die unter der dicken Leimfarbe auf der Rosette an der Decke durchschimmern und bei jedem Waschgang klarer zum Vorschein kommen. Mit dem Schwamm stehe ich auf der Leiter und merke, wie in mir die Euphorie wächst. Schnell greife ich zum rauen Schwamm, um mit der festen Ecke die Farbe aus den Vertiefungen zu kratzen. Mit einem Borstenpinsel arbeite ich nach, damit sich die Konturen noch klarer abzeichnen.
So schön hätten wir uns diese Rosette nicht vorgestellt. Eine verkannte Schönheit. Bislang hatten wir die Rosette im Nachbarraum für die schönere gehalten. Ich fotografiere sie und schicke das Foto meiner Frau, die ebenso begeistert ist wie ich. Es ist schon ein besonderes Gefühl, ein solches, bald 120 Jahre altes Schätzchen herauszuputzen und ihm zu neuem Glanz zu verhelfen. Auch Denkmalschützerin Melanie Rimpel, der ich das Foto schicke, ist begeistert und beglückwünscht uns.
So war es schon, als wir Mitte Januar, wenige Tage nach der zweiten Begutachtung unseres Paul, in die abgehängten Decken zwei Gucklöcher schnitten und den Kopf neugierig hineinhielten. Der umlaufende Stuck schien zu unserer Erleichterung im Laufe der Jahrzehnte nur mäßig gelitten zu haben. Zwei Rosetten waren eher zu ahnen als zu sehen. Melanie Rimpel jedenfalls war so begeistert von dem Foto, das ich ihr ein paar Tage später bei meinem Antrittsbesuch im technischen Rathaus zeigte, dass sie ihre Mitarbeiterin aus dem Nachbarbüro rief.
Der gute Rat der Denkmalpflege
Das Wichtigste, was sie uns an dem Tag aber sagte, betraf den Balkon unserer denkmalgeschützten Jugendstilwohnung und zeigt, dass Behörden doch oft besser als ihr Ruf sind. „Die Tür machen Sie aber links, damit Sie den kleinen Wintergarten auch nutzen können.“ Das ist einfacher gesagt als getan, wie sich zeigen sollte. Immerhin klärte sie es prompt mit der Bauordnung und dem Rheinischen Amt für Denkmalpflege. Beide Stellen hatten keine Bedenken.
Den Raum Wintergarten zu nennen, ist natürlich schon maßlos. Mit knapp sieben Quadratmetern ist das Frühstückszimmer zwar der Motor unserer Träume, aber doch winzig. Dieses Treffen scheint schon lange her. Viel ist seitdem passiert und es gab auch Situationen, in denen wir die Rosetten verflucht haben.
Wie ein Tatortreiniger im Fernsehen
Im weißen Overall stehe ich inzwischen selbst auf der Arbeitsbühne und sehe eher wie ein Kollege von Bjarne Mädel bei den Tatortreinigern als wie ein Anstreicher aus. Das Abwaschen der Decken ist alles andere als eine angenehme Arbeit, eine Schweinearbeit.
Vor allem ist sie eine zwingende Anstrengung. Denn auf der dicken Leimfarbe an der Decke hält keine andere und eine weitere Lage Leimfarbe ist auch nicht machbar. Sie deckt nicht ausreichend und wäre zudem für die fragile Decke, in deren Löcher Stroh zum Vorschein kommt, zu schwer. Da sich die Fachfirmen die Arbeit gut bezahlen lassen, greife ich lieber selbst zu Pinsel, Quast und Spachtel, ehe ein vierstelliger Betrag fällig wird. Vor mir stehen zwei Eimer mit klarem Wasser, die zunehmend trübe werden. Den dreckigen Schwamm wringe in dem einen aus, dann tauche ich ihn im anderen in klares Wasser. Alle 20 Minuten muss ich das Wasser wechseln.
Mit dem Spachtel kann ich größere Partien lösen, wenn sich der Leim mit Wasser vollgesogen hat und zu einer klebrigen Masse wird. In den Hohlkehlen und am seitlichen Stuck ist es wieder komplizierter. Über die Durststrecke hilft dann die Begeisterung über die Schönheit der Rosette. Das Wasser läuft mir am Handgelenk vorbei in den Ärmel und tropft in den Kragen. Der Maleranzug hält immerhin Staub und Farbpartikel ab. Vielleicht hätte ich meinen Südwester anziehen sollen?
Respekt den Handwerkern
Langsam wächst die Routine, aber die Handgelenke schmerzen und die Arme werden lahm. Gut, dass ich so etwas nicht jeden Tag machen muss. Respekt den Handwerkern. Am Wochenende warten noch zwei Zimmerdecken auf mich.