Mülheim. Die Tage der traditionsreichen Fleischerei Werner Pieper an der Leineweberstraße sind gezählt. Dieses Gerücht kursiert - und es stimmt.
Im Laufe dieser Woche müssen sich viele Stammkundinnen und -kunden von einem Traditionsbetrieb in der Mülheimer Innenstadt verabschieden: Die Fleischerei Werner Pieper an der Leineweberstraße macht zu.
Die geplante Schließung geht still vonstatten, nirgendwo im oder am Laden findet sich bislang ein Hinweis. Wie gewohnt, lehnen an den Schaufenstern Tafeln, auf denen die Tagesangebote mit Kreide notiert sind. Auf der Website des Familienunternehmens werden weiterhin Fleischereifachverkäufer/innen gesucht: „Kommen Sie doch zu uns, wir brauchen Sie.“ In Zukunft wohl leider nicht mehr.
Extra scharfes Messer als Abschiedsgeschenk
Seit einigen Tagen kursiert die Nachricht auf Facebook und wird engagiert diskutiert. Sie stimmt tatsächlich, wie Inhaber Achim Pieper gegenüber dieser Zeitung bestätigt. Mehr möchte er dazu nicht sagen, auch nicht, wann genau der letzte Öffnungstag sein wird und wie es jetzt mit seinen Mitarbeitern weitergeht. Eine Pieper-Kundin präsentiert in einer Mülheim-Gruppe auf Facebook das Foto des Abschiedsgeschenkes, das sie kürzlich beim Einkauf bekommen hat: ein kleines schwarzes Messer, „extra scharf“.
Etliche Mülheimer kommentieren die bevorstehende Schließung mit Bedauern, listen ihre Lieblingsprodukte aus Piepers
Immer mehr Fachbetriebe verschwinden
Die ganze Woche lang, bis zum 26. Juli, gibt es bei Pieper noch täglich wechselnde Mittagsgerichte unter dem Motto „Essen wie bei Muttern“. Zum Abschluss stehen am Freitag Wirsingeintopf oder Graupensuppe auf der Karte, „mit reichlich Einlage“.
Nicht nur in Mülheim, sondern generell verschwinden immer mehr Fleischer-Fachbetriebe. Nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) ist ihre Zahl in ganz NRW innerhalb von zehn Jahren (2008 bis 2018) von 2546 auf 1664 gesunken.
Als Gründe werden vor allem die Konkurrenz durch große Handelsketten und der Nachwuchsmangel genannt.
Wurstküche auf: Mettbrötchen, Rippchen, Panhas, Blutwurst. Der Grund, warum das alteingesessene Geschäft aufgibt, liegt für viele auf der Hand: Die Mehrheit der Menschen bevorzugt billige Fleischwaren aus dem Supermarkt oder Discounter. Andere Stimmen beklagen den allgemeinen Niedergang der Innenstadt, einige kritisieren auch, die Qualität habe nachgelassen.
Familienbetrieb besteht seit etwa 1860
Die Fleischerei Werner Pieper ist einer der ältesten noch bestehenden Familienbetriebe in Mülheim. Dessen Ursprünge reichen etwa bis ins Jahr 1860 zurück. Der Laden liegt zentral an der Leineweberstraße 71 und wird hier mittlerweile in vierter Generation von Achim Pieper geführt. Gerade in diesem Bereich der Innenstadt hat man aber seit Jahren fast ununterbrochen Baustellen vor der Tür. Mehrere Geschäftsleute haben dies schon als schwere Belastung bewertet und kritisiert.
Einer, der die Entwicklung mit großer Sorge betrachtet, ist Günter Gontrum, Inhaber des kleinen Obst- und Gemüseladens gleich neben der Fleischerei Pieper. Er hofft, dass sich die Schließung nicht auch auf sein Geschäft negativ auswirkt, das er seit mehr als 20 Jahren an dieser Stelle betreibt. „Viele Leute werden ihr Fleisch jetzt im Supermarkt kaufen“, sagt Gontrum - wenn er Pech hat, auch das Grünzeug. Weiter nach unten gehen dürften die Umsatzzahlen jedenfalls nicht, so der Händler.
Fleischerinnung in Mülheim schrumpft auf nur noch acht Mitglieder
Wenn Pieper schließt, bleiben der Fleischerinnung nur noch acht Mitgliedsbetriebe in Mülheim erhalten, zwei davon sind größere Produzenten ohne eigenen Ladenverkauf. Nach Ansicht von Jürgen Zier, der einen eigenen Meisterbetrieb in Dümpten führt und dem Vorstand der Fleischerinnung Rhein-Ruhr angehört, ist es vor allem die Preisgestaltung der großen Anbieter, die Handwerksbetrieben oft das Genick breche: „Bei den Preisen der Discounter können kleine Geschäfte nicht mehr mithalten.“ Dass es Fleischer gibt, auch in Mülheim, bei denen die Kunden nach wie vor Schlange stehen, weiß er auch. „In welchem Stadtteil der Laden liegt“, so Zier, „ist ein ganz entscheidender Punkt.“
Kleine Unternehmen finden oft keinen Nachfolger
Ähnlich sieht es Jörg Bischoff, Obermeister der Fleischerinnung Rhein-Ruhr: „Im Vergleich zu den sechziger oder siebziger Jahren ist nur noch ein Bruchteil der Betriebe übrig geblieben“, sagt er. Die Einkaufslagen und Einkaufsgewohnheiten hätten sich grundlegend geändert. „Wenn kleine Familienunternehmen aufgegeben werden, dann oft, weil sie keinen Nachfolger mehr finden“, so Bischoff. „Es gibt aber auch in Mülheim noch Fleischereien, die sehr gut zurechtkommen.“