Mülheim. Nach dem Wahldesaster kämpft die Mülheimer SPD gegen den Niedergang. Eine einheitliche Linie fehlt aber bislang.
Bis auf die Europakandidatin wollte am Sonntagabend niemand von der SPD-Spitze etwas zu den Genossen in der Alten Dreherei sagen. Geschockt und ratlos blickten sie auf die Ergebnisse, die die Sozialdemokraten in Mülheim bei der Europawahl eingefahren hatten. 21,2 Prozent reichten nur noch zur dritten Kraft hinter CDU und den Grünen. Angesichts dieser Niederlage wollte der Parteispitze um Cem Aydemir kein passendes Wort einfallen, das man an die Parteimitglieder hätte richten können. Das Ergebnis sprach schließlich für sich. Und so nahm Sina Breitenbruch-Tiedtke als einzige das Mikrofon in die Hand.
Die Grünen müssten „nicht so rumeiern“, sagte die Europakandidatin
„Das ist ein sehr bitterer Tag für die Sozialdemokratie“, sagte sie angesichts der zweistelligen Verluste, die ihre Partei eingefahren hatte. Breitenbruch-Tiedtke nahm sich vor allem die Große Koalition vor, die sie als Hauptgrund für das unterirdische Abschneiden der SPD sieht. Im engen Korsett der GroKo müsse man bei vielen Themen zu viele Kompromisse eingehen und könne den Wählern kein deutliches Angebot machen. So wie die Grünen. „Die müssen nicht so rumeiern“, sagte die SPD-Europakandidatin deutlich und forderte von ihrer Partei vor allem bei den Themen soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz in Zukunft ein Vorgehen „ohne Rumgeschwurbel“. Auch wenn das hieße, sich von der GroKo zu lösen. Von der Mülheimer Parteiführung wünscht sich Breitenbruch-Tiedtke ebenfalls „klare Kante“. Wie diese „klare Kante“ aussieht, konnte am Sonntag noch niemand sagen.
Cem Aydemir möchte Partei und Fraktion verjüngen
Beinahe ohnmächtig nahm Cem Aydemir das Ergebnis zur Kenntnis. Denn, auch wenn es sich um die Europawahl handelte, waren sich alle darüber im Klaren, dass es auch der Auftritt der SPD in Mülheim war, der die Wähler verprellt haben dürfte. Inhaltlich halten die Fraktion unter anderem mit VHS und ÖPNV zwei große, emotionale Themen in Beschlag. Dazu ist der Konflikt zwischen Partei und Fraktion über den Umgang mit OB Ulrich Scholten noch immer nicht beigelegt, derzeit ruhen die Gespräche. Um bis zur Kommunalwahl im kommenden Jahr ein geschlossenes Bild abzugeben, wird die Zeit immer knapper. Diesen Druck verspürt auch Aydemir, der neben einer stärkeren inhaltlichen Positionierung auch personelle Veränderungen vornehmen möchte. Jünger und weiblicher soll die SPD werden.
Dass er damit womöglich einen neuen Konflikt entfachen könnte, nimmt er in Kauf
Ein Weg, den Aydemir gehen möchte, indem er jüngere Kandidaten in sicheren Wahlkreisen aufstellen möchte. In Holthausen habe man schließlich keine Chance. Die personelle Suche nach Kandidaten sollen die Ortsvereine nach den Sommerferien starten. Dass er damit womöglich einen neuen Konflikt heraufbeschwört, da nicht jedes altgediente Ratsmitglied dazu bereit sein dürfte, seinen Wahlkreis abzugeben, nimmt Aydemir in Kauf. Dass Partei und Fraktion jünger und weiblicher werden sollen, begrüßt SPD-Fraktionschef Dieter Spliethoff. Allerdings müsse man dafür zunächst einmal „Menschen haben, die auch bereit sind mitzumachen“.
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Aydemir und Spliethoff möchten an den Verhandlungstisch zurückkehren
Doch neben inhaltlichen Schwierigkeiten und Nachwuchssorgen wissen sowohl Spliethoff als auch Aydemir, dass vor allem der ein Jahr alte Konflikt um OB Scholten beigelegt werden muss, um auf dem Weg zur Kommunalwahl 2020 nicht endgültig aus der Bahn geworfen zu werden. Beide kündigten an, die Gespräche wieder aufnehmen zu wollen. Über den Ausgang wollten sie allerdings keine Vermutungen anstrengen.