Mülheim. . Der Kamp gegen Infektionen wird komplexer und schwieriger. Das Evangelische Krankenhaus Mülheim widmet sich mit einem großen Team der Aufgabe.
Der Feind kommt meist klassisch durch die Eingangspforte oder über die Notaufnahme. Irgendwo auf der Haut sitzt er, hat sich vielleicht auch verborgen in der Nase oder im Mund, oder er befindet sich noch versteckter im Darm. Fast 75 bis 80 Prozent der Keime werden im Krankenhaus bereits bei der Aufnahme nachgewiesen, im Fall von MRSA sind es sogar 98 Prozent. Der Rest wird im Rahmen der weiteren Diagnostik in der Klinik entdeckt. Den Begriff „Krankenhaus-Keim“ halten Mediziner und Pflegekräfte daher für irreführend. In der Klinik jedenfalls treffen die Keime auf heftige Gegenwehr. Seit zehn Jahren arbeitet ein immer größeres Team im Evangelischen Krankenhaus (EKM) daran, jene Feinde zu stoppen.
„Schnelle Diagnose, präventive Maßnahmen bis hin zur Isolation“ nennt Gabriele Kantor, Hygiene- und Gesundheitsmanagerin, als Kernpunkte einer Strategie, um Besiedlungen zu erkennen und sie an der Ausbreitung zu hindern. „Jeder Patient wird nach den Risiken, die eine Besiedlung begünstigen, befragt“, sagt Kantor. Die Risikoeinschätzung bestimmt den Umgang mit ihm. Alles wird dokumentiert.
Über 40 Hygiene-Fachkräfte im Einsatz
Neben Gabriele Kantor kümmern sich noch zwei Hygienefachkräfte, ein Krankenhaushygieniker, 14 hygienebeauftragte Ärzte und ein Team aus rund 25 Hygienebeauftragten in der Pflege darum, dass Infektionen möglichst verhindert werden, und wenn sie da sind, dass diese „zielgerichtet, in der richtigen Menge und mit der richtigen Zeitdauer“ therapiert werden, wie es der Chefarzt und Ärztliche Direktor, Prof. Heinz-Jochen Gassel, sagt.
Es sind vor allem die resistenten Krankheitserreger, die zunehmend Sorgen bereiten. Sie verursachen jene Infektionen, die längst nicht mit jedem Antibiotikum behandelt werden können. Manche reagieren gleich auf mehrere Antibiotika nicht mehr, sie sind multiresistent. Staphylokokkus Aureus kann so ein Feind sein oder Gram-negative Stäbchenbakterien oder Enterokokken.
Rund 20.000 Patienten nimmt das EKM jährlich auf. Fast jeder Zweite gilt als Risikopatient, der auf multiresistente Keime erst einmal getestet wird. Bei fünf bis sechs Prozent der Betroffenen konnten zuletzt diese Keime tatsächlich auch festgestellt werden. Dann gilt Alarm!
Abstriche werden in der Notaufnahme gemacht
Risikopatienten kommen erst einmal nicht auf eine Station. In der Notaufnahme werden bei ihnen Abstriche in Mund und Nase gemacht, und zwar unter anderem immer dann, wenn der Patient in den vergangenen sechs Monaten einen Krankenhausaufenthalt von länger als drei Tagen hatte. Wenn er chronische Wunden hat, in denen Bakterien sitzen könnten, werden diese abgestrichen. Bei Risiken für eine Besiedlung mit multiresistenten Darmbakterien wird die Afterregion abgestrichen, wie Notfallpfleger Torsten Haberkamp berichtet. Er verfügt über eine Art Fahrplan, wer wie in Sachen Hygiene beprobt und versorgt wird.
Im Labor des EKM werden Schnelltests durchgeführt, deren Ergebnisse nach einer Stunde vorliegen. Weitere Abstrichmaterialien gehen an Dr. Britt Hornei. Sie gehört ebenfalls zum Netzwerk der Krankenhaus-Hygiene am EKM und ist Chefärztin der Klinischen Mikrobiologie. Ihr Labor befindet sich im Evangelischen Krankenhaus Oberhausen, das mit dem EKM zusammen zur Ategris-Gruppe gehört. 800 bis 1000 Proben kommen bei ihrem Team am Tag an. Auch bei ihr geht es um Tempo. „Der Arzt soll so schnell wie möglich wissen, was vorliegt“, sagt sie.
Therapie und Isolierung betroffener Patienten
Liegt eine Infektion vor, beginnt die Therapie. Die Isolierung des Patienten bleibt bestehen. Die Bekämpfung des Keims hat jetzt Vorrang. Infektionen durch multiresistente Bakterien können für die Patienten schlimme Folgen haben. „Je früher die Therapie einsetzt, desto größer die Chance auf Erfolg“, sagen die Fachleute. Innerhalb weniger Stunden bekommt das Krankenhaus vom Labor ein erstes Ergebnis signalisiert.
Die Labormediziner legen Kulturen an, um nicht nur zu wissen, dass ein Keim vorliegt, sondern auch welcher. „Innerhalb von 24 bis 48 Stunden“ erfolge dies, sagt Dr. Britt Hornei.
Parallel dazu laufen auf den Stationen hygienische Maßnahmen. Händedesinfektion gilt nach wie vor als wirksamste Methode, um eine Verbreitung von Bakterien im Haus zu verhindern. Spender gibt es vom Eingang angefangen auf allen Ebenen und sogar an jedem Patientenbett. Auf der Isolierstation werden zudem Mundschutz, Schutzkleidung, Handschuhe für das Personal zur Pflicht.
Infektiologische Visiten gehören zum Standard
Zum Standard im EKM gehören die infektiologischen Visiten auf den beiden Intensivstationen. Bei diesen Visiten geht es vor allem um den sinnvollen und restriktiven Einsatz der Antibiotika. Antibiotic Stewardship nennt sich die Strategie. Im EKM arbeiten ein Infektiologe, ein Arzt aus der Intensivmedizin, ein Internist, ein Mikrobiologe, ein Krankenhaus-Hygieniker und ein Vertreter der Krankenhaus-Apotheke dabei zusammen, um für den Patienten das beste Gegenmittel in der nötigen Konzentration einzusetzen.
Das therapeutische Spektrum ist inzwischen eingeschränkt, obwohl die Zahl der Antibiotika zugenommen hat. Oft seien Kombinationstherapien aus mehreren Antibiotika notwendig, so Britt Hornei.
Bekämpfung von Keimen soll noch früher einsetzen
Reisen in ferne Länder, insbesondere in Länder wie Indien, der Verzehr von bestimmten Fleischsorten – überall, so Gassel, lauerten Bakterien. Diese müssten, wenn sie in den Körper gedrungen sind, nicht zu Problemen führen, könnten aber – in dramatischer Weise, etwa wenn sie im Darm sitzen und bei einem Eingriff ausbrechen.
Aus Infektionen kann eine Sepsis entstehen, eine Blutvergiftung mit tödlichen Folgen. Ursache sind meistens nicht resistente patienteneigene Haut- und Darmkeime. Das EKM war jüngst in einer Studie der AOK durch eine Todesrate im oberen Durchschnitt bei Sepsis-Fällen aufgefallen.
Die Krankenhaus-Leitung führt dies unter anderem darauf zurück, dass das Haus über eine große Onkologie verfügt, wo die Patienten durch die Krebstherapie oft stark immungeschwächt und dadurch viel anfälliger für Infekte sind. Oder: Das EKM nimmt aus anderen Kliniken schwer Kranke auf, die dort nicht mehr adäquat versorgt werden können.
Todesrate bei Patienten mit Sepsis liegt bei 42 Prozent
Die aktuelle bundesweite Todesrate bei Patienten mit einer Sepsis, so Gassel, liege bei 42 Prozent. In der Größenordnung befindet sich auch das EKM. Mit einer guten Infektions-Prävention und einer noch schnelleren Diagnose durch einfache Tests und eine noch früher einsetzende Bekämpfung der Infektion will das Mülheimer Krankenhaus die Rate senken.
Hygiene und Infektionsbekämpfung seien längst, so Gassel, zu einer zentralen Aufgabe geworden. Sie erforderten viel Zeit, viel Geld, ständige Fortbildung. Keime an der Ausbreitung zu hindern, sei, so der Chefarzt, letztlich eine weltweite Aufgabe. Der Feind ruht nicht.