Mülheim. . SPD Holthausen-Menden-Raadt lud zum Frühjahrsempfang. Großer Gast war Juso-Chef Kevin Kühnert, größeres Thema die Teilhabe von Frauen an Politik.
Ortsvereinsversammlungen unter Genossen dienen gerne mal dem gemeinsamen Kopfwaschen. Wenn dann noch der Frühjahrsempfang der SPD Holthausen, Menden und Raadt den charismatischen Groko-Kritiker Kevin Kühnert in die Stube bittet, sieht es nach dem vollen Programm inklusive Rasur, Föhnen und Legen aus.
Die sprichwörtliche Packung bekamen die Genossen am gestrigen Sonntagmorgen allerdings zunächst aus ganz anderer Richtung: „Gerade einmal zwei der 19 SPD-Stadtverordneten im Rat sind Frauen“, zwickte die Mülheimer Juso Vorsitzende Laura Libera dort, wo es den gut 40 versammelten Herren – und gerade einmal 13 Frauen im Saal des Alten Schilderhofs – weh tat.
Mülheimer Kandidatin für die Europa-Wahl
In den Führungspositionen etwa bei Ausschüssen sehe es noch schlechter aus, konstatierte Libera. Lässt man den Integrationsrat und Jugendstadtrat mal außen vor, gibt es genau eine Frau mit einem Gremiumsvorsitz: Brigitte Erd – sie allerdings ist eine Grüne, die Vorsitze der SPD bleiben ausnahmslos in Männerhand. Je höher man komme, desto weniger Frauen trifft man an, kritisierte daher die Juso-Vorsitzende die mangelnde Geschlechtergerechtigkeit und Solidarität des vermeintlich starken Geschlechts. Dabei ginge es gar nicht darum, stark zu sein, appellierte sie, sondern „klug und innovativ“.
Ob sich diese feine Spitze in den Fraktions- und den Parteivorsitz gleichermaßen verfangen hat, war dem kräftigen Applaus nur bedingt zu entnehmen. Für eine starke, sozial gerechte wie friedliche Europäische Gemeinschaft zog die Mülheimer Kandidatin für Europa, Sina Breitenbruch-Tiedke, vors Mikrofon. „Die AKK-CDU will einen europäischen Flugzeugträger bauen – ein Symbol militärischer Stärke – das kann nicht in unserem Sinne sein“, grenzte sie sich von der großen Koalitionsschwester CDU ab.
Kevin Kühnert äußert sich zur Flüchtlingspolitik
In der Rüstungs- wie Flüchtlings- und Sozialpolitik will Breitenbruch-Tiedke andere Maßstäbe setzen: das drohende Wettrüsten zwischen USA und Russland verhindern, die Seenotrettung stärken, soziale Mindeststandards EU-weit einführen: „Europa ist mehr als nur ein wirtschaftlicher Binnenmarkt.“
Der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert ging in Sachen Flüchtlingspolitik noch einen Schritt weiter und griff einen Vorschlag von Gesine Schwan auf: Eine Kommune, die Geflüchtete aufnehme, soll zusätzlich Geld aus einem europäischen Topf bekommen, etwa für ÖPNV, Schulen und Wohnungen. „Wir müssen die Argumentation ‘Die nehmen uns was weg’ umdrehen. Wer zu uns kommt, bringt etwas mit“, appellierte er.
Kühnert spricht über Mindestrente und Mindestlohn
Nicht minder konsequent will Kühnert steigende Mieten und Wohnungsnot angehen und notfalls auch große Wohnungsbauunternehmen wie Vonovia, die wegen hoher Mieten durch teure Modernisierung in die Schlagzeilen kamen, „gegen Entschädigung enteignen. Weder im Grundgesetz noch in den zehn Geboten steht, dass man mit Wohnungsbau Geld verdienen muss.“
Von Mindestrente bis Mindestlohn brachte der Juso-Promi reichlich Futter für die grauen Genossenzellen vorbei. Nicht nur Wohlwollen kam zurück. Seine massive Kritik – und die der Jusos – an der Großen Koalition vor knapp anderthalb Jahren sitzt einer älteren Frau noch in den Gliedern: „Ich hab’ mich darüber sehr geärgert – was hätten wir denn machen sollen?“ Kühnert machte die alten Gräben jedoch nicht wieder auf: „Die Kritik war notwendig, weil sie die Position von einem Drittel der Partei war, die sich sonst nicht wiedergefunden hätte“, argumentiert der Juso-Chef und rechnet vor: 25.000 Menschen seien deswegen neu in die SPD eingetreten.