Mülheim. Marien-Hospital nennt selbst deutlich niedrigere Todesrate bei Sepsis-Erkrankungen. EKM verweist auf ältere Patienten mit Mehrfacherkrankungen.

Sind Patienten, die sich in den Mülheimer Krankenhäusern operieren lassen, gefährdeter als in anderen Städten? Nach dem jüngsten AOK Gesundheitsbericht wäre das der Fall. Der besagt, dass 1,4 Prozent der Operierten in Mülheim an einer Sepsis (Blutvergiftung) erkranken und von diesen Infizierten sogar 45,1 Prozent versterben. „Diese hohen Werte sind für uns sehr überraschend, weil sie so deutlich über den Werten unseres Hauses liegen“, sagt der Sprecher des St. Marien-Hospitals, Andreas Kalhöfer.

Marien-Hospital nennt deutlich niedrigere Werte

„Seit vielen Jahren nehmen wir an der externen Qualitätssicherung teil.“ Dazu würden, so Kalhöfer, alle Qualitätsdaten des Hauses übermittelt. Danach betrage der Ist-Wert 23,5 Prozent Sterblichkeit bei einer Sepsis und nicht 45,1 Prozent. „Das gehört zu den niedrigsten Werten in der AOK-Statistik.“ Kalhöfer weist darauf hin, dass die AOK Durchschnittswerte von Städten und Kreisen vergleicht und nicht die Qualität einzelner Häuser bewertet.

Fortschritte im Kampf gegen Infektionen

Die Hygiene- und Gesundheitsmanagerin des Evangelischen Krankenhauses (EKM), Gabriele Kantor, sieht große Fortschritte im Kampf gegen Infektionen im Krankenhaus: „Bei der Vorbeugung von Keimübertragungen gehören wir zu den führenden Krankenhäusern in Deutschland.“ Je nach Risiko würden Eingangskontrollen hinsichtlich Keimen durchgeführt. Man habe es erreicht, „die Infektionen mit MRSA auf fast null zu reduzieren“. Damit stehe man im bundesweiten Vergleich sehr gut da.

Das Haus, so eine Sprecherin der Klinik, praktiziere zudem ein intensives Sepsis-Management, unter anderem durch Anlegen von Blutkulturen. Bei der Auswahl von Antibiotika würden Mikrobiologen die Ärzte bei Visiten beraten.

Auch die Personalausstattung in der Pflege und in der Hygiene entscheidet mit über Krankheitsverlauf und Gesundung.
Auch die Personalausstattung in der Pflege und in der Hygiene entscheidet mit über Krankheitsverlauf und Gesundung. © Felix Kästle, dpa

Dennoch sei die Sterblichkeit bei einer Sepsis im oberen Durchschnitt aufgrund des Patientenklientel nicht zu verhindern. Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt gebe es in Mülheim eher hochbetagte Menschen, die oft mit Mehrfacherkrankungen ins Krankenhaus kämen. „Außerdem sind wir insbesondere in den Bereichen der Onkologie, der Plastischen Chirurgie und der Gefäßchirurgie medizinisch so spezialisiert, dass umliegende Krankenhäuser eine Vielzahl besonders schwerer Fälle an uns überweisen“, sagt eine Sprecherin des Evangelischen Krankenhauses.

Gerade onkologische Patienten hätten oft ein stark geschwächtes Immunsystem und seien schon dadurch deutlich gefährdeter.

Ärztekammer: Aussagen nicht wissenschaftlich fundiert

Der Vorsitzende der Ärztekammer Mülheim, Uwe Brock, warnt, vorschnelle Schlüssel aus den AOK-Zahlen zu ziehen: „Die Aussagen sind nicht wissenschaftlich fundiert.“ Es gebe eine ganze Reihe offener Fragen dazu, auch die: „Welche Diagnose gibt der Arzt ein, wie codiert er bei mehreren vorliegenden Krankheiten?“ Das sei keineswegs einheitlich. Wenn der Arzt keine Sepsis einträgt, stirbt auch keiner daran“, so Brock. Auch gebe es in Krankenhäusern unterschiedliche Operations-Schwerpunkte mit unterschiedlichen Risiken, an einer Infektion zu erkranken.

Kritisch zur Studie äußert sich auch der Chef des städtischen Gesundheitsamtes, Dr. Georg Ohde. Fachlich seien die AOK-Daten nicht einzuordnen. Zudem lägen nur die Daten von AOK-Versicherten zugrunde. Aus Sicht von Ohde werden auch Dinge unzulässig miteinander vermengt. Blutvergiftungen träten zudem bei bestimmten OP-Arten einfach häufiger auf.

AOK: Sterblichkeit kann um ein Drittel gesenkt werden

Aus Sicht der AOK sind die Daten zur Sepsis in Mülheim zumindest erklärungsbedürftig. Ziel sei es, dass darüber vor Ort diskutiert werde mit dem Ziel, die Sterberate zu senken, erklärt eine Sprecherin der Gesundheitskasse.

Kann bei den Daten auch eine Differenzierung nach Krankenhäusern erfolgen? Das Mülheimer St. Marien-Hospital hat selbst zur Sepsis deutlich niedrigere Zahlen ermittelt.
AOK-Sprecherin: Ja, eine Differenzierung kann erfolgen. Wir veröffentlichen aber bewusst keine krankenhausbezogenen Ergebnisse. Es geht uns nicht darum, einzelne Krankenhäuser in der Öffentlichkeit anzuprangern.

Kann die AOK sicher sein, dass die Mediziner bei der Erhebung der Krankheiten einheitlich codieren?
Wir gehen davon aus, dass sich die Krankenhäuser an die Codierrichtlinien halten und entsprechend einheitlich codieren. Die Auffälligkeiten in Mülheim bestehen auch nicht bei der Häufigkeit der Sepsis, sondern bei der Sterblichkeit im Fall einer Sepsis. Ein möglicher verzerrender Codiereffekt ist bei diesem Indikator nicht zu erwarten.

Lassen sich die Städte angesichts der unterschiedlichen Zahl der Kliniken mit unterschiedlichen Schwerpunkten und der unterschiedlichen Bevölkerungsstruktur überhaupt miteinander vergleichen?
Die Städte lassen sich durchaus miteinander vergleichen, da wir die Bevölkerungsstruktur in der Region berücksichtigt haben.

Welches Ziel verfolgt die AOK mit dem Gesundheitsbericht? Sollen schlechte Werte Patienten warnen? Und welche Erwartungen hat die AOK angesichts der schlechten Werte zur Sepsis an die Mülheimer Krankenhäuser?
Regionale Unterschiede und Auffälligkeiten deuten nicht zwangsläufig auf ein Qualitätsproblem hin. Wir erhoffen uns, dass die Auswertungen dazu führen, dass das Thema vor Ort diskutiert und nach Erklärungen gesucht wird, sowie mögliche Probleme adressiert werden.

Die Überlebenschancen bei einer Sepsis steigen deutlich, wenn sie früh erkannt und als Notfall adäquat behandelt wird. Positive Beispiele einzelner Kliniken zeigen, dass die Sterblichkeit durch ein konsequentes Sepsis-Management um etwa ein Drittel gesenkt werden kann.

Welche Daten die AOK zugrunde legt

Als Datenbasis dienten die Abrechnungsdaten der Kliniken.

Betrachtet wurden Krankenhausfälle mit einer Operation, in denen Sepsis nicht bereits Aufnahmediagnose war. Dabei ging es nur um Streptokokken-Sepsis und Sonstige Sepsis im Zeitraum von 2012 bis 2017. Gezählt wurden Sterbefälle im Krankenhaus.

Die Ergebnisse drücken die Sterblichkeitsraten aus unter der Annahme, dass die Altersstruktur der Sepsis-Patienten und die Verteilung der Schwere in allen Kreisen gleich sind.