Mülheim. . 15-Jähriger soll in Mülheim Mitschülerin (14) auf Schulweg unsittlich berührt haben. Da es keine Zeugen gibt, stellt Polizei Ermittlungen ein.
Den 18. Mai 2018 können Frank Huber und Natascha Kranz nicht vergessen (Namen aufgrund der Sensibilität des Themas geändert, sind der Redaktion bekannt). Dieser Tag beschäftigt die Verlobten heute noch. Die damals 14-jährige Denise Kranz (Name geändert) berichtet ihrer Mutter und ihrem Stiefvater, dass ein Mitschüler sie im Schritt anfasste und beschimpfte. Monate später erzählt Denise dieser Zeitung von dem Vorfall.
Der Junge war zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt 15 Jahre alt. „Wir waren auf dem Weg zur Schule. Im Bus sagte er mir: ,Du hast geile Brüste.’ Als wir dann zur Schule gingen, fasste er mir in den Schritt.“ Das Problem: Die vermeintliche Tat hat niemand gesehen.
Natascha Kranz und ihr Verlobter handelten sofort, verständigten die Schule. Die Schulleiterin sagt: „Wir haben schnell gehandelt. Es gab ein Gespräch mit beiden Klassenlehrern, der Schülerin und dem Mitschüler.“ Der junge Mann stritt alles ab. Die Klassenlehrer rieten Denise Kranz zur Strafanzeige.
Fünf Monate lang ermittelt die Polizei
Einen Monat später geht die Mutter zur Polizei. Denise wird vernommen, der vermeintliche Täter auch. Fünf Monate lang ermittelt die Polizei wegen sexueller Nötigung und stellt dann fest: Aussage gegen Aussage. „Weitere Zeugen gab es nicht“, sagt Judith König, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft in Duisburg.
Natascha Kranz und ihr Verlobter sind enttäuscht. Sie hatten gehofft, dass die Schule den Jugendlichen suspendiert, ihn bestraft. Die Schulleiterin sagt aber: „Wir können den Schüler nicht belangen, weil er der Tat nicht überführt worden ist.“ Lehrer und Schulleitung betonen, sie hätten bereits über Gebühr gehandelt, schließlich sei der Vorfall, falls er sich ereignet habe, auf dem Schulweg passiert.
Strafrechtliche Aufklärung besonders schwierig
Wie häufig Vorfälle von Gewalt und insbesondere sexueller Gewalt in Mülheim sind, ist nicht bekannt. „Gewalt an Kindern und zwischen Kindern können wir ganz schlecht an Daten festmachen. Denn die Befragung von Kindern ist schwierig und kann zu Schädigungen führen“, sagt Sozialarbeiterin Elena Stannowski vom Kinderschutzbund. Kinder können oft keine genauen Angaben, beispielsweise zum Tattag, machen. Deshalb sei eine strafrechtliche Aufklärung besonders schwierig. „In den seltensten Fällen kommt es zu einer Verurteilung“, sagt Stannowski. Weil öffentliches Aussagen für Kinder sehr belastend sei, sollte man sich sehr gut überlegen, ob eine Strafanzeige sinnvoll sei.
Schutzkonzept gegen Gewalt erarbeitet
Mülheimer Schulen erlebt Sozialarbeiterin Stannowski als besonders engagiert und wachsam. „Sexualisierte Gewalt passiert meistens im Verborgenen. Die Frage ist, ob Schulen das ignorieren oder sich mit dem Vorfall beschäftigen“, sagt die Kinderschutzbund-Mitarbeiterin. Die Schule von Denise Kranz habe sich mit Klassenlehrergesprächen und dem Rat zur Strafanzeige mehr eingesetzt als viele Schulen es in vergleichbaren Situationen täten, sagt die Sozialarbeiterin. Immer wieder gebe es Schulen, die sagen, sie haben keine Ressourcen, sich mit dme Themenkomplex auseinanderzusetzen.
Stannowski nimmt dennoch eine zunehmende Sensibilisierung der Mülheimer Schulen für das Thema wahr. „Gewalt ist in Schulen ein Thema von vielen. Die Ressourcen reichen oft nicht“, hat Stannowski die Erfahrung gemacht. Bemerkenswert sei, dass die Karl-Ziegler-Schule, Otto-Pankok-Schule, die Luisenschule und die Brüder Grimm Schule jeweils ein Schutzkonzept gegen Gewalt erarbeiten. Gewalt sei bereits in der Grundschule ein Thema, unter Gleichaltrigen spiele sich die Gewalt am häufigsten zwischen Jugendlichen ab. Bundesweit seien Mädchen meist Opfer, wobei das Dunkelfeld beachtlich sei.
Studie beleuchtet Gewalt unter Jugendlichen
Die Speak-Studie aus dem Jahr 2017 beleuchtet die Verbreitung sexualisierter Gewalt unter Jugendlichen. Die Befragung Tausender zeigt, wie viele Schüler in Deutschland sexuelle Gewalt erfahren haben. Mädchen werden dreimal so häufig Opfer von Übergriffen wie Jungen.
Fast 41 % der befragten Schülerinnen mussten schon sexuelle Kommentare, Witze, Beleidigungen über sich ergehen lassen.
Jede zehnte Schülerin wäre schon fast vergewaltigt worden, unter den Jungen liegt diese Quote bei 1,4 Prozent.